Essen. Der Regionalplan Ruhr verzögert sich um mehrere Jahre. Die Wirtschaft ist alarmiert und warnt vor einem Stillstand für das Ruhrgebiet.
2500 Seiten dick ist der Entwurf für den Regionalplan. Dagegen gibt es 10.000 Einwendungen. Ein Mammut-Projekt. Der Regionalverband Ruhr gab am Freitag bekannt, dass er noch Jahre brauche, um es zu schultern. Wir fassen die Konsequenzen für das Ruhrgebiet und die offenen Fragen zusammen.
Gibt es zu wenig Personal beim RVR?
Als Hauptgrund für die jahrelange Verzögerung nennt der Verband die „unzureichende personelle Ausstattung“ für die Regionalplanung. Nach eigenen Angaben stehen dem RVR für 53 Städte mit 5,1 Millionen Einwohnern nur 14 Planerinnen und Planer zur Verfügung. Die Behörden in Arnsberg (22), Münster (22) und Düsseldorf (33) hätten deutlich mehr. RVR-Direktorin Karola-Geiß Netthöfel fordert mehr Personal und finanzielle Mittel für Essen. Die Bezirksregierung Münster weist die Darstellung gegenüber der WAZ zurück. Sie verfüge nicht über 22 Regionalplaner, sondern nur über 10,5 Stellen, so ein Sprecher. Dies sei Geiß-Netthöfel auch bekannt.
Kann der RVR auf Unterstützung der Landesregierung rechnen?
Für die personelle Ausstattung der Planungsabteilungen ist das NRW-Wirtschaftsministerium verantwortlich. Minister Andreas Pinkwart (FDP) kritisiert die Verschiebung des Ruhrplans. „Das Ruhrgebiet wartet dringend auf einen neuen Regionalplan. Die Wirtschaft ist auf ein gutes qualitativ hochwertiges Gewerbeflächenangebot angewiesen. Die Entscheidung der Verbandsleitung, das Verfahren weiter zu schieben, hilft nicht weiter“, sagte er unserer Redaktion. Sein Staatssekretär werde deshalb das Gespräch mit der RVR-Spitze suchen. „Gute Regionalplanung muss Entwicklung möglich machen und nicht verzögern“, so Pinkwart.
Ist der RVR überhaupt für die Regionalplanung gerüstet?
Jörg Bogumil, Professor für Öffentliche Verwaltung, Stadt und Regionalpolitik an der Ruhr-Uni Bochum, hält den RVR diesbezüglich für fachlich überfordert. „In den Bezirksregierungen gibt es die Behörden, Kompetenzen und Experten. Der RVR hat das nicht und musste die Planungsbereiche neu aufbauen“, sagte Bogumil der WAZ. Man müsse angesichts des Scheiterns des Regionalplans Ruhr die Frage stellen, ob es richtig war, dem RVR 2009 die staatliche Regionalplanung zu übertragen. „In den Bezirksregierungen ist sie besser aufgehoben“, urteilt Bogumil. Die „Sonderlösung für das Ruhrgebiet“ sei nicht sinnvoll.
Hat sich die intensive Beteiligung der Öffentlichkeit bewährt?
„Der Fehler lag darin, nicht entschieden zu haben, die Partizipation an dem Plan sachlich und zeitlich zu begrenzen“, sagt Christoph Zöpel (SPD), der ehemalige NRW-Städtebauminister. „Man muss einige wenige grundlegende Ziele klar formulieren – und dann von Fachleuten planen lassen.“ Dagegen sieht sich die RVR-Verwaltungsspitze in der Pflicht, alle Einwände gründlich zu prüfen. Sie sei sich einig, „dass eine sorgfältige und rechtssichere Bearbeitung Vorrang haben muss“.
Warum muss der Regionalplan abseits der Einwendungen noch einmal aufgeschnürt werden?
Der RVR argumentiert, dass sich während des Aufstellungsverfahrens für den Regionalplan zweimal die landesgesetzlichen Rahmenbedingungen geändert hätten. Als Beispiel nennt der Verband die Windkraft, die seit August nach dem Willen der Landesregierung nicht mehr massiv ausgebaut werden soll. Abstandsregelungen von 1500 Metern und Verbote im Wald müssten nun auch in den Regionalplan eingearbeitet werden. Dafür sei ein neues Beteiligungsverfahren erforderlich.
Kann die Wirtschaft mit der erheblichen Verzögerung leben?
„Qualität muss vor Schnelligkeit gehen. Dennoch muss man kritisch anmerken, dass der RVR jetzt schon zehn Jahre lang am Regionalplan arbeitet“, sagt Stefan Dietzfelbinger, Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen IHK zu Duisburg, im Namen aller sechs Industrie- und Handelskammern im Revier. Er sorgt sich um das Image des Ruhrgebiets. Der aufgeschobene Regionalplan sei das „völlig falsche Signal“. Dietzfelbinger fordert, dass der RVR nun die neuen Möglichkeiten der Landesplanung nutze. „Wir wünschen uns mehr Wirtschaftsfreundlichkeit bei der Planung“, so der IHK-Manager. Zu Einigkeit ruft Rasmus C. Beck, Geschäftsführer der Business Metropole Ruhr, auf: „Die Entscheidung ist bedauerlich, denn das Ruhrgebiet darf kein Signal senden, das Investoren abschreckt. Alle Beteiligten sollten sich jetzt bemühen, dass dringend benötigte Flächenentwicklungen durch Änderungsverfahren trotzdem umgesetzt werden können“, fordert er.
Droht in der Debatte um den Gewerbeflächen-Mangel weiter Stillstand?
Die Gefahr sieht Stefan Schreiber, Hauptgeschäftsführer der Dortmunder IHK und Vorsitzender des Beirats der Business Metropole Ruhr GmbH. „Die Ausweisung von dringend benötigten Gewerbeflächen hat oberste Priorität und darf nicht zum Spielball politischer Einzelinteressen werden“, fordert Schreiber. Die Verschiebung des Regionalplans sein „inakzeptabel“, die Einwände zu erwarten gewesen. „Diese Zeitverzögerung hemmt die wirtschaftliche Entwicklung im gesamten Ruhrgebiet.“
Warum sollte der Regionalplan unbedingt vor der Kommunalwahl 2020 verabschiedet werden?
Es wird erwartet, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im neuen Ruhrparlament, das die Bürger erstmals direkt wählen, deutlich verschieben könnten. Das könnte Einfluss auch auf den Ruhrplan haben, heißt es. Städte und Wirtschaft aber machen Druck, dass neue Gewerbeflächen rasch ausgewiesen werden.
Wie reagiert die Politik?
Roland Mitschke, CDU-Fraktionsvorsitzender im Ruhrparlament, spricht von einem „völlig desolaten Erarbeitungsverfahren durch den Planungsdezernenten Martin Tönnes (Grüne)“. Er und RVR-Direktorin Geiß-Netthöfel müssten sich fragen lassen, „ob sie mit dem Projekt nicht überfordert sind“. Die SPD kündigte an, dass sie sich dafür einsetzen wollen, eine Stagnation in der Städteplanung des Ruhrgebiets zu verhindern. Durch Planänderungsverfahren sollen Projekte in den Kommunen auch künftig möglich sein, sagte Martina Schmück-Glock, SPD-Fraktionschefin im Ruhrparlament.