Essen/Düsseldorf. Verkehrswende, “ungerechtes“ Pächtersystem: Tankstellen sorgen sich ums Geschäft. Die FDP will es ihnen erleichtern – und ein altes Verbot kippen
Das grüne Ladenschild schmückt weiterhin stolz die obere Gemarkenstraße in Essen - „Älteste Tankstelle Deutschlands“. Ein endlicher Titel. Ende Mai wurden die Zapfsäulen hier zum letzten Mal geleert, weil kein Nachfolger gefunden werden konnte. Das Ende Deutschlands ältester Tankstelle – ein symbolisches Lebewohl für den Niedergang einer ganzen Branche?
1969 war die Hochzeit für Tankstellen in Deutschland. Mit rund 46.700 Stationen gab es die höchste Dichte in Westdeutschland. Bis 1986 sank ihre Anzahl auf etwa 18.200, heute gibt es nur noch 14.350 Tanken - obwohl wesentlich mehr Autos unterwegs sind als früher. Trotzdem, findet Alexander von Gersdorff vom Mineralölwirtschaftsverband, hinke der Vergleich zu früher. „Damals hatte eine Station meist nur zwei Zapfsäulen. Heute stehen nicht selten zehn oder mehr Zapfpistolen zur Verfügung.“
Pächter-Verband: E-Autos sind ökologisch unvertretbar
Dennoch: Die Branche steht vor großen Herausforderungen. Zum einen ist da die Verkehrswende, die Zukunftsängste weckt. Beim Tankstellen-Interessenverband (TIV), Vertreter der Pächter, ist man „empört“ darüber, dass die Diskussion um den Antrieb der Zukunft nicht technologieneutral geführt wird. „Leider steht uns eine nahezu geschlossene Frontreihe von einseitig auf Elektromobilität ausgerichteten Politikern entgegen“, sagt TIV-Sprecher Herbert Rabl. „Aus unserer Sicht sind Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe wie E-Fuels die Zukunft, weil Batterien von Elektroautos wirtschaftlich, entsorgungstechnisch und ökologisch unvertretbar sind“, meint er.
Der TIV findet: Wenn man schon nicht über Alternativantriebe diskutiert, solle man den Tankstellen zumindest das Geschäft mit Autowäschen nicht erschweren - für sie ein wesentlich rentablere Einnahmequelle als der Spritverkauf. Und hier ist die Frontreihe in der Politik dann doch nicht mehr so geschlossen: Die FDP-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag hat jetzt die Lockerung der Sonntagsruhe für Waschanlagen ins Gespräch gebracht.
FDP setzt für Lockerung des Waschverbots am Sonntag ein
NRW ist eines von sechs Bundesländern, in denen ein kategorisches Verbot von Autowäschen an Sonntagen gilt, in Hessen und Bayern sind die Kommunen zuständig. „Das Verbot ist eine überflüssige Einschränkung der Freiheit“, teilt der liberale Landtagsabgeordnete und wirtschaftspolitische FDP-Sprecher Ralph Bombis auf Anfrage unserer Redaktion mit. „Wir möchten den Menschen nicht vorschreiben, ob oder wann sie ihr Auto waschen.“ Es sei allerdings naheliegend, dass viele Autobesitzer eher am Wochenende Zeit für die Autopflege haben. „Die FDP-Landtagsfraktion setzt sich daher für eine Lockerung des Verbots ein.“
Auch interessant
Ob und wann der Junior-Partner der CDU in der Landesregierung die Verbotslockerung in der laufenden Legislaturperiode einbringen will, steht allerdings nicht fest. Man habe noch keinen formalen Beschluss gefasst, heißt es aus dem FDP-Fraktionsbüro. Aus dem CDU-geführten Innenministerium kam dagegen erst Ende vergangenen Jahres die Mitteilung, man habe keine Änderung des Feiertagsgesetztes geplant.
Dass die Sonntagsschließung der Waschanlagen ein parlamentarisch länger nicht diskutiertes, aber umstrittenes Thema ist, zeigt die Reaktion der Grünen auf die Ideen der Liberalen. „Sonntag ist ein Tag für Familie, Erholung und Freizeit. Die Autowäsche kann problemlos an jedem anderen Tag erfolgen“, sagt Sigrid Beer, Sprecherin für Kirchenpolitik der Grünen-Fraktion. Waschanlagen würden reichlich Lärm verursachen und in der Nähe von Wohnsiedlungen die Sonntagsruhe stören. „Deshalb gilt: Hände weg vom Feiertagsgesetz!“
Schleichendes Tankstellensterben
Auf offene Ohren stößt der FPD-Vorstoß dagegen bei den Industrievertretern des Mineralölwirtschaftsverbands: „Eine Begründung für ein Verbot ist uns nicht ersichtlich – die Tankstelle selbst hat ja sonntags ohnehin geöffnet“, sagt Sprecher Alexander von Gersdorff. Dazu sei das Geschäft mit den Autowäschen auch angesichts drohender Umsatzverluste beim Sprit durch mehr E-Mobilität nicht zu vernachlässigen. „Auch E-Autos müssen gewaschen werden.“
Nur: Werden derartige politische Schrauben wirklich das schleichende Tankstellensterben zurückdrehen?
Auch interessant
Denn im Gegensatz zum optimistischen Mineralölverband wagt der Interessenverband der Pächter durchaus von einem „Tankstellensterben“ zu sprechen. „Der Rückgang der Tankstellen in den vergangenen Jahren ist ein leichter, aber stetiger“, sagt TIV-Sprecher Herbert W. Rabl – und sieht Pächter im ländlichen Raum als die großen Verlierer dieser Entwicklung. „Auf dem Land fehlt oft der Umsatz“, beklagt Rabl. Tankstellen würden dann einfach von den Öl-Multis geschlossen – obwohl sie für dörfliche Regionen häufig das letzte Nahversorgungszentrum seien. „So eine – häufig sehr plötzliche – Schließung trifft einen Pächter und seine Familie in ihrer ganzen Existenz.“
Pächter: Wir sind moderne Leibeigene
Der Ruf nach einem fairen Umgang mit Pächtern wird nicht zum ersten Mal laut. Tankstellen und Mineralölkonzerne hatten sich, moderiert vom Bundeswirtschaftsministerium, bereits 2015 auf einen „Verhaltenskodex“ geeinigt, der Pächtern mehr Wertschätzung entgegen bringen sollte. „Oft wird sich aber nicht an diesen Kodex gehalten“, beklagt Rabl. Der TIV sieht im Pächter-System weiterhin ein „modernes Leibeigenen-System, das dem selbstständigen Tankstellenpächter kaum unternehmerische Gestaltungsmöglichkeiten lässt und ihn wirtschaftlich restlos gläsern macht.“
Pächter erhalten pro verkauftem Liter Sprit nur einen Cent Provision, der Großteil ihres Ertrags stammt längst aus den Shops. Aber auch hier werden den Pächtern genaue Vorschriften gemacht – beispielsweise dazu, dass 90 Prozent des Shop-Sortiments über eine gesellschaftseigene Tochter zu beziehen sind. Herbert W. Rabl beobachtet: Nicht zuletzt deshalb würden Tankstellen das Essener Schicksal teilen – und keinen Nachwuchs finden. Bisweilen das Resultat: Die Schließung.
Im Ruhrgebiet allerdings geht das Gespenst mit dem Namen Tankstellenschwund noch nicht umher. Zum Vergleich: In Köln kommen durchschnittlich 8100 Einwohner auf eine Tankstelle, in Essen 7100, in Dortmund 6300, in Bochum 6100 und in Gelsenkirchen sogar 5900. „Die Stationsdichte im Ruhrgebiet bleibt also sehr hoch“, resümiert Ölmulti-Vertreter Alexander von Gersdorff, „auch nach dem bedauerlichen Aus für Deutschlands älteste Tankstelle in Essen.“