Dortmund. Klimabewegt, schlagfertig, redegewandt: Wie Carla Reemtsma im Eiltempo zum Gesicht von Fridays for Future wurde. Und warum sie Söder nicht traut.
Die zwei Wochen im Zelt hätten andere lieber in Südfrankreich verbracht. Carla Reemtsma zog den Dortmunder Revierpark vor. Das Sommercamp von Fridays for Future ist längst vorbei, der Abbau noch nicht. Die 21-Jährige macht kurz Pause, das sei „schon sehr anstrengend“, sagt sie, „ein Vollzeit-Job.“ Sie ist eine der Hauptorganisatorinnen der Jugendbewegung. Und ob sie es will oder nicht: Carla Reemtsma ist in NRW das Gesicht von Fridays for Future. Ein ungläubig lächelndes Gesicht, wenn es zum Medieninteresse sagt: „Das fühlt sich total absurd an.“
„Der Klimawandel ist Physik und kein Thema für Kompromisse“
Zwischen ihrer ersten Demo in Münster und dem bundesweiten Sommercamp in Dortmund liegen nur sieben Monate, aber etliche Demos, Klimastreiks, Interviews und ein Fernsehauftritt bei Maybritt Illner. Plötzlich wird die Studentin aus Münster erkannt, von Schulterklopfern wie Kritikern. Was eben so passiert, wenn jemand weder Mikrofone noch Kameras scheut, ziemlich geradeaus reden kann und Sätze wie diesen sagt: „Der Klimawandel ist Physik und kein Thema für Kompromisse.“
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Die gebürtige Berlinerin studiert in Münster Politologie und Wirtschaft. Sie hat Fridays vor Future in der Fahrradstadt angeschoben. Wie so viele hat auch sie die Rede von Greta Thunberg am 12. Dezember in Kattowitz gepackt. Die damals 15-jährige Schwedin hatte mit ihren freitäglichen Schülerdemos weltweit so viel Aufmerksamkeit erregt, dass sie auf dem Klimagipfel ans Mikro durfte. Ihr Auftritt ging viral, die Welt wollte sehen, wie dieser niedlich aussehende Teenie mit Zöpfen und Pausbacken den versammelten Eliten in die Augen sah und rief: „Ihr stehlt unsere Zukunft.“
Seitdem wächst Fridays for Future gegen alle Vorhersagen, mit den nächsten Ferien sei der Spuk vorbei. Das Feuilleton feiert die endlich wieder politische Jugend, die Parteien umgarnen sie, nur wenige erinnern noch an die Schulpflicht. Die Masse der Bewegung macht ihren Erfolg aus. Tausende Schüler und Studenten verschaffen sich regelmäßig Gehör. Bei der Kohlekommission in Berlin, bei den Hauptversammlungen von RWE und Bayer, und natürlich immer freitags zur besten Schulzeit. Doch wenn viele Menschen sich versammeln, muss auch irgendjemand zu ihnen und für sie reden. Das macht in Deutschland eine Handvoll führender Köpfe, Carla Reemtsma ist einer davon.
Sie redet schnell, aber unfallfrei. Das tat sie schon als Schülersprecherin, doch der Auftritt in Illners Talkshow war dann doch eine andere Nummer. „Das hat sich komisch angefühlt. Da sitzt man neben Politikern, die sowas jeden Tag machen, und soll dagegen halten.“ Dabei hat sie keinen eigenen Plan zur Klimarettung, wie sie betont. „Was wir wollen, ist einfach, dass die Politiker sich an ihre Abkommen halten, die sie selbst unterschrieben haben“, sagt sie und hat für die Erreichung der Klimaziele noch einen ganz simplen Rat an die Regierung: „Hört einfach auf die Wissenschaft.“
Der Sinn fürs Gleichgewicht kommt vom Turnen
Mit der Bekanntheit mehren sich auch die Anfeindungen, bevorzugt anonym in den sozialen Medien. „Dort bin ich Illuminatin und Freimaurerin“, grinst sie, und erzählt, wie heftig sie dafür kritisiert wurde, dass sie in der Talkshow eine schwarze Hose getragen hat, wo doch schwarz bekanntermaßen Hitze speichere und damit schlecht fürs Klima sei. Dass sie damit so gelassen umgehen könne, schreibt sie ihrem Sport zu: Carla ist Turnerin und verfügt als solche über einen ausgeprägten Sinn fürs Gleichgewicht.
Auch wenn ihre Oma als „Urgroßmutter for Future“ regelmäßig auf die Straße gehe, wie die Berlinerin voller Stolz erzählt, musste sie von niemandem politisiert werden. Ihr Blick ging früh Richtung Horizont und weiter, Carla Reemtsma engagiert sich seit Jahren als Jugendbotschafterin für die Entwicklungshilfe-Organisation „One“. Das habe ziemlich große Schnittmengen mit dem Klimawandel, sagt sie, „weil wir eine dreistellige Millionenzahl von Klimaflüchtlingen bekommen werden, wenn wir die Erderwärmung nicht stoppen“.
RWE als „der perfekte Feind“
Wie es sich bei einem 12-Stunden-Tag fürs Klima nebenbei so studiert? Langsamer. Die Wahl-Münsteranerin im 6. Semester wird ihren Bachelor wegen des Vollzeit-Nebenjobs etwas später machen. „Ich habe das Privileg, nicht auf Bafög angewiesen zu sein“, sagt sie. Das Wirtschaftsstudium helfe ihr derweil sehr, um zu verstehen, warum wer wie handelt. „Kenne Deinen Feind“ lautet ihr Motto, und „der perfekte Feind“ sei RWE. Solange der Essener Konzern mit seiner Braunkohle der größte CO2-Emittent sei, so lange in Deutschland Kohle verfeuert werde, lohne es kaum, über die Verantwortung des Einzelnen zu reden und kluge Klimatipps wie Lichtausschalten und Heizungrunterdrehen zu geben.
600 FFF-Ortsgruppen in Deutschland
600 Ortsgruppen hat Fridays for Future inzwischen bundesweit, von denen gut 100 jeden Freitag fürs Klima auf die Straße gehen. Monatlich kann jede Gruppe je 300 Euro für Aktionen verwenden, es gibt ein bundesweites Spendenkonto.
Die Ortsgruppen sammeln aber auch selbst. Klar sei, wer nicht spenden solle: „Von Unternehmen wollen wir keine Spenden“, sagt Carla Reemtsma.
Dass Fridays for Future so schnell so groß geworden ist, lässt auch die eigenen Ansprüche wachsen. Die ersten Stimmen werden laut, die der reinen Demonstriererei müde sind und Ergebnisse sehen wollen. Die jungen Klimaschützer werden ungeduldig, wollen, dass sich was tut. Nur wie? Die Parteien überbieten sich mit Lob für die Jugendlichen. Werben dafür einzutreten, um aktiv Politik machen zu können. Carla Reemtsma stoßen derlei Umarmungsversuche eher ab: „Einige haben uns inzwischen zu sehr lieb“, sagt sie.
Söder würde beim Klimastreik ausgebuht
Wenn etwa CSU-Chef Markus Söder ihre Forderung nach einem Kohleausstieg bis 2030 kopiere und den Klima-Vorreiter spiele, glaubt sie dem Bayern kein Wort. „Er und seine Partei blockieren doch den Klimaschutz“, sagt sie und meint etwa den autofreundlichen CSU-Verkehrsminister Scheuer. Würde Söder beim großen Klimastreik am 20. September reden wollen, werde es ihm wohl so ergehen wie im Januar Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) nach dem aus ihrer Sicht faulen Kohlekompromiss mit dem Ausstieg bis 2038: „Der wollte auf die Bühne und reden. Wir wollten das nicht und haben ihn ausgebuht.“ Fridays for Future gebe Politikern keine Bühne. Reemtsma hält es für besser, sie so lange unter Druck setzen, bis sie handeln: „Bis 2038 sind es noch ein paar Freitage.“
Natürlich seien viele Aktivisten auch in Parteien aktiv – von der Jungen Union bis zu Solid, der Jugendorganisation der Linken, sei alles dabei. Zur Rekrutierung tauge die Bewegung aber nicht, ganz im Gegenteil: „Ich habe von mehr Leuten gehört, die bei uns wieder aus ihrer Partei ausgetreten sind als umgekehrt“, sagt Carla mit breitem Lächeln. Sie selbst ist in keiner Partei und sieht sich dort auch künftig nicht. Sie wolle später beruflich zwar „was Politisches“ machen, „aber eher keine Parteipolitik“, sondern vielleicht „als die gute Lobbyistin“. Ihr ist bewusst, dass die Grünen vom Erfolg der Jugendbewegung am meisten profitieren. Wichtiger ist ihr, dass „die anderen Parteien sich jetzt immerhin für ihre Klimapolitik rechtfertigen müssen“.
Fridays for Future polarisiert: Wer die Jugendbewegung nicht lobt, findet sie naiv und macht sich gern lustig über die jungen Weltenretter. „Ist doch schön, wenn noch jemand die Welt retten will“, sagt Carla Reemtsma so schnell, wie man nur auf leidlich bekannte Fragen antwortet. In ihrer Lesart haben viele einfach noch nicht begriffen, was passiert. Der Klimawandel treffe eben nicht nur die jungen Generationen, sondern sei durch die Häufung extremer Wetterlagen bereits spürbar. „Wir haben’s doch schon verkackt“, sagt sie, „der Klimawandel ist Realität.“ Jetzt gehe es nur noch darum, ihn in halbwegs erträglichen Grenzen zu halten.
„Eine gewisse Naivität gehört doch dazu“
Die 21-Jährige ist jetzt in ihrem Element, ob Tausende zuhören oder wie jetzt nur einer. Es folgt der nächste sehr schnelle, weil schon so oft gesagte Satz: „Wenn wir so weiter machen, haben wir in neun Jahren unser Budget für den Ausstoß von CO2 in diesem Jahrhundert aufgebraucht.“ Gemeint sind die Emissionen, die noch im Rahmen dessen wären, was auf den gesamten Globus hochgerechnet den Anstieg der Temperatur auf 1,5 Grad bis zum Jahr 2100 begrenzen würde.
Carls Reemtsma will mittun, das zu schaffen und nennt sich selbst eine Optimistin. Dazu gehöre auch eine gewisse Naivität. „Wenn man keine Utopie hat, weiß man nicht mehr, wofür man es macht, wofür die ganze Zeit und Energie draufgehen.“ Jetzt schaut sie wieder ernst. Carla wird gebraucht, noch sind die Reste des Sommercamps nicht verschwunden aus dem Revierpark. Die letzten Kisten wollen eingepackt werden. Und die ersten Plakatentwürfe zum nächsten Großevent: Klimastreik am 20. September. „Das wird anstrengend“, sagt sie. Geht zu den anderen und macht weiter.
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