Essen. Das Ruhrgebiet leidet immer mehr unter dem Mangel an Gewerbeflächen. Wirtschaft und Planungsbehörde RVR streiten um den Weg aus der Misere.

Die Gewerbeflächennot im Ruhrgebiet wird immer größer. Die Wirtschaft will endlich Taten sehen, der Regionalverband Ruhr (RVR) als Planungsbehörde dagegen im kommenden Jahr aber erst den Regionalplan Ruhr verabschieden und anschließend über zusätzliche Gewerbeflächen beraten.

Im Gespräch mit unserer Redaktion tauschten die Hauptbeteiligten erstmals öffentlich ihre Argumente aus: Dabei waren RVR-Direktorin Karola Geiß-Netthöfel, die sich in den nächsten Tagen mit den Vertretern der Revier-Kammern treffen will; Rasmus C. Beck, der Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Business Metrople Ruhr (BMR), die eine Tochter des Regionalverbands ist; und Stefan Schreiber, der als Vertreter der Wirtschaft dem Beirat der BMR vorsitzt und im Hauptberuf Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Dortmund ist.

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„Es gibt einen Konflikt bei der planungsrechtlichen Ausweisung von Gewerbeflächen“, räumt Wirtschaftsförderer Beck ein. „Diesen müssen wir lösen und das günstige Zeitfenster für die zukunftsfähige Gestaltung des Ruhrgebietes nutzen.“ Denn die Konjunktur in der Region laufe weiter gut. Der Konflikt: Aktuell stehen im Ruhrgebiet rund 1000 Hektar Gewerbeflächen ohne Altlasten zur Verfügung, auf denen sich Unternehmen sofort ansiedeln können. Bei einem Vermarktungstempo von 180 Hektar jährlich sieht die BMR den Vorrat in gut fünf Jahren aufgebraucht. Der RVR indes geht davon aus, dass die Flächen zehn Mal so lange reichen, weil er etwa Erweiterungsflächen bestehender Unternehmen hinzu rechnet und städtische Grundstücke, für die es keine Bebauungspläne gibt.

Sorge um die Beschäftigung im Revier

Wirtschaftsförderer und Kammern sehen die anhaltende Rekord-Beschäftigung im Ruhrgebiet und die hohe Zahl der Anfragen von Firmen, die sich in der Region ansiedeln wollen, in Gefahr. Für Stefan Schreiber von der IHK Dortmund ist die Konsequenz deshalb eindeutig: „Wir müssen die Gewerbeflächen im Ruhrgebiet bedarfsgerecht weiterentwickeln“, sagt er. „Naturgemäß sind wir da nicht auf einer Linie mit den Planern beim RVR. Er sagt, dass die ausgewiesenen Flächen ausreichen. Die Wirtschaft fordert indes mehr.“

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Vor der Pressekonferenz zur Machbarkeitsstudie Freiheit Emscher in Bottrop und Essen, machen Bernd Tischler, Oberbürgermeister Stadt Bottrop, Thomas Kufen, Oberbürgermeister Stadt Essen, und Markus Masuth, Vorsitzender der Geschäftsführung RAG Montan Immobilien GmbH, am Donnerstag, 17. Januar 2019, eine Testfahrt auf einem Teilstück der Umwelttrasse (Knappenstraße in Bottrop) mit drei Wasserstoff-Pkw mit Brennstoffzellen sowie gewerblichem Elektro-Transporter. Foto: Thomas Gödde / FUNKE Foto Services
Von Matthias Düngelhoffund Marcus Schymiczek

Im Prinzip gibt RVR-Direktorin Karola Geiß-Netthöfel Schreiber Recht: „Es gibt kaum noch größere Gewerbeflächen im Kern des Ruhrgebiets“, räumt auch sie ein. Über den Weg aus der Misere gibt es aber sehr unterschiedliche Auffassungen. Geiß-Netthöfel sieht vor allem in sogenannten regionalen Kooperationsstandorten das „Instrument der Zukunft“. Als Paradebeispiel nennt sie das Projekt „Freiheit Emscher“ an der Stadtgrenze Essen und Bottrop. Die Brache wollen beide Kommunen gemeinsam entwickeln und sich die Gewerbesteuern der Firmen, die sich dort ansiedeln, am Ende teilen. „Die Kommunen müssen jetzt rasch in die Lage versetzt werden, mit der gemeinsamen Entwicklung der Kooperationsstandorte beginnen zu können. An vorderster Stelle die Areale der auslaufenden Steinkohlekraftwerke“, meint Geiß-Netthöfel. „Dazu brauchen wir die Unterstützung von Bund und Land.“

Rege Debatte zwischen Karola Geiß-Netthöfel, Rasmus C. Beck (Mitte) und und Stefan Schreiber.
Rege Debatte zwischen Karola Geiß-Netthöfel, Rasmus C. Beck (Mitte) und und Stefan Schreiber. © Michael Gottschalk

Im Entwurf für den Regionalplan sind 23 dieser Kooperationsstandorte vorgesehen, die wenigsten davon allerdings im Kern-Ruhrgebiet. IHK-Manager Schreiber ist skeptisch: „Von den 23 zur Verfügung stehenden Kooperationsstandorten sind zwölf mit Restriktionen belegt“, warnt er. Altlasten sind in der Region ein schwieriges Thema. „Ein Investor muss erst einmal Millionen in den belasteten Boden stecken, bevor er mit dem Bau beginnen kann. Das ist ein Hemmnis“, so Schreiber. „Uns fehlen die finanziellen Mittel, um nicht marktgängige Industriebrachen effektiv anzupacken“, betont auch Wirtschaftsförderer Beck. „Deshalb brauchen wir dringend einen regionalen Flächenfonds. Zudem müssen Kaufpreise für solche Flächen förderfähig werden.“ Erst ein derartiges Konstrukt versetze gerade kleinere Städte in die Lage, Brachflächen zu kaufen und zu entwickeln.

Konsens: Mehr Brachflächen sanieren

Konsens herrscht unter den Beteiligten, dass nicht etwa Wälder für die Ansiedlung von Unternehmen geopfert werden sollen. „In der Forderung, mehr Brachflächen zu entwickeln, sind sich Wirtschaftsförderung und Regionalplanung einig. In dieser Forderung passt kein Blatt Papier zwischen die Wirtschaft und den RVR“, sagt Direktorin Geiß-Netthöfel. Sie warnt aber vor einem eindimensionalen Blick auf die Bedürfnisse der Wirtschaft. „Das Thema Gewerbeflächen ist das eine. Mit dem Regionalplan Ruhr müssen wir aber alle Aspekte der regionalen Entwicklung berücksichtigen, vor allem auch die Lebensqualität in der Region. Das muss einhergehen“, betont sie und plädiert für ihren Weg: „Mein Ziel ist es, den Regionalplan Ruhr im Jahre 2020 beschließen zu lassen. Anschließend werden wir direkt in die Fortschreibung und in eine neue Flächen-Berechnung gehen.“

Damit erntet sich freilich Widerspruch aus der Wirtschaft. „Wir sollten sofort einige Flächen aus dem Regionalplan herausziehen“, fordert Stefan Schreiber. „Eine Fortschreibung kostet zu viel Zeit. Die Aufstellung des Regionalplans hat ohnehin schon sehr lange gedauert.“ Mitte August wollen sich die Spitzen der sechs IHKs im Ruhrgebiet und die des Regionalverbands zusammensetzen und nach einem Kompromiss suchen.