Düsseldorf. . Um Gewerbeflächen-Not zu lindern, sollen sich Firmen von Arealen trennen, sagen Ministerin Scharrenbach und Innogy-Vorstand Müller im Interview.
Gewerbeflächen sind im Ruhrgebiet ein knappes Gut. Heute beschäftigt sich auch die von der Landesregierung initiierte Ruhrkonferenz in der Bochumer Jahrhunderthalle mit Konzepten gegen die Misere. Den Arbeitskreis leiten NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) und Innogy-Vorstandsmitglied Hildegard Müller. Mit ihnen sprach Frank Meßing.
Frau Müller, glauben Sie dass die Ruhrkonferenz das richtige Mittel ist, um die Gewerbeflächennot im Ruhrgebiet zu lindern?
Hildegard Müller: Ich finde sehr gut, dass Wirtschaft, Politik und Gesellschaft endlich einmal versuchen, die Region in einem gemeinsamen Schulterschluss strukturiert weiterzuentwickeln. Es bringt uns nicht weiter, immer nur einzelne Interessen in den Blick zu nehmen. Innogy ist eng mit dem Ruhrgebiet und den Kommunen verbunden. Deshalb engagiere ich mich in der Ruhrkonferenz.
Frau Scharrenbach, klagen Städte und Wirtschaft zu Recht über das knappe Gewerbeflächen-Angebot im Ruhrgebiet?
Ina Scharrenbach: Sowohl als auch. Es gibt gerade im Ruhrgebiet sehr viele Brachen mit Altlasten. Sie zu revitalisieren, kostet richtig viel Geld und dauert lange. Auf der anderen Seite haben wir gerade das Projekt New Park in Datteln zum Fliegen gebracht. Jetzt müssen die Kommunen auch das Planungsrecht dazu liefern. Wir müssen aber auch eine Debatte darüber führen, wie Gewerbegebiete der Zukunft überhaupt aussehen sollen.
Weil die Verursacher von Altlasten meist nicht mehr zu ermitteln sind, bleiben die Städte auf den Kosten sitzen. Wie können Land, Bund und EU da helfen?
Scharrenbach: Natürlich geht es auch immer um Geld. Im Land steht uns ein hoher zweistelliger Millionenbetrag aus EU-Mitteln zur Verfügung. Wir prüfen gerade, welche Flächen für diese Förderung in Frage kommen. Gleichzeitig kämpfen wir auf der Bundesebene für eine Lockerung von rechtlichen Beschränkungen. Wir wollen erreichen, dass auf Brachen nach der Sanierung wieder die Nutzung stattfinden kann, die es dort vorher schon gab. Aktuell erlauben Vorschriften wie der Mindestabstand zu Wohnhäusern oder die Lärmschutzverordnung das nicht.
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Müller: Entwickler träumen ja immer von ganz freien Flächen. Im Ruhrgebiet gibt es sie. Das bietet große Chancen. Um eine optimale Entwicklung zu gewährleisten, sollten wir bei der Entwicklung auch immer die Digitalisierung, smarte Technologien und den Anschluss an das Breitbandnetz mitdenken. Das wären eindeutige Standortvorteile.
Oft sitzen Konzerne auf ihren ungenutzten Reserveflächen und wollen sich nicht trennen.
Müller: Hier sind wir in der Tat als Wirtschaft gefordert. Ungenutzte Flächen sind auch für Unternehmen teuer und ineffizient. Daher findet hier bereits ein Umdenken statt. In Essen etwa könnte Innogy auf manche große Umspannstation verzichten, indem wir extrem stark leitende Kabel einsetzen, um den Strom über größere Entfernungen als bislang durch die Stadt zu transportieren. So könnten große Anlagen in der Innenstadt überflüssig werden und wir können diese teils hochwertigen Flächen für eine andere Nutzung zur Verfügung stellen.
Wirtschaftsförderer und Unternehmen beklagen, dass es zwar Flächen gibt, sie aber aufgrund hoher Restriktionen nicht nutzbar sind. Kann der Regionalplan, der gerade aufgestellt wird, das Problem lösen?
Scharrenbach: Der Regionalverband Ruhr hat den Regionalplan auf der Basis der strengen Planungsvorgaben der rot-grünen Vorgängerregierung aufgestellt. CDU und FDP geben den Planern nun größere Freiheiten bei der Ausweisung von Flächen für Gewerbe und Wohnen. Man muss aber auch sehen, dass es im Ruhrgebiet inzwischen weniger Industrie gibt als im Landesdurchschnitt. Die Region wandelt sich.
Glauben Sie, dass die Revierstädte ausreichend an einem Strang ziehen, um neue Unternehmen in die Region zu locken?
Müller: Die Zusammenarbeit kann verbessert werden. Es ist viel sinnvoller, das Ruhrgebiet als Einheit zu betrachten und weiterzuentwickeln. Die Wirtschaft sieht das Ruhrgebiet bereits als Region. Es ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Die Städte müssen sich besser vernetzen und noch stärker als bisher Schwerpunkte bilden. Bei dem Riesen-Thema Digitalisierung und Smart City muss wirklich nicht jede Kommune alles machen. Die Städte sollten sich auf ihre jeweiligen Stärken fokussieren und sich nicht gegenseitig Konkurrenz machen.
Die Ausweisung neuer Gewerbegebiete stößt nicht immer auf Zustimmung der Anwohner.
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Scharrenbach: Wir müssen die Bürger früh mitnehmen und rechtzeitig informieren, wohin die Stadt will. Essen hatte eine große Konferenz mit Einwohnern zu diesem Thema. Und es hat gut funktioniert. Aber auch Dortmund, Bottrop, Duisburg und Oberhausen machen sich positiv auf, ihre Chancen zu ergreifen. Offene Kommunikation ist immer am besten.
Müller: Natürlich gibt es Zielkonflikte. Die muss man innerhalb einer Stadt austragen. Das geht nur mit Bürgerbeteiligung und Moderation. Wir bei Innogy haben zum Beispiel bei neuen Stromleitungen gute Erfahrungen damit gemacht, die Betroffenen frühzeitig in den Prozess einzubinden.
Ein großes Flächenpotenzial können Kraftwerksstandorte sein, die mit dem Ende der Kohleverstromung spätestens 2038 zur Verfügung stehen. Grobe Schätzungen gehen von Rückbau- und Sanierungskosten in der Höhe von 60 Millionen Euro pro Standort aus. Wären Entwicklungsgesellschaften der geeignete Weg, die Investitionen zu stemmen?
Scharrenbach: Ministerpräsident Laschet hat in Berlin erreicht, dass Sondermittel nach NRW fließen. Wir gucken jetzt, welche bisherigen Steinkohlekraft-Standorte für eine Förderung in Frage kommen. Unna, Hamm, Duisburg, Herne und Gelsenkirchen wurden ja schon genannt. Wir brauchen dafür jetzt einen langen Atem. Das ist ein sehr ambitionierter Prozess. Ich warne davor, dass jede einzelne Stadt jetzt los läuft und Planungen für ihre Standorte aufstellt. Wir brauchen ein regionales Konzept.
Welche Rolle wird die Erzeugung erneuerbarer Energien im Ruhrgebiet nach dem Ende der Kohleverstromung spielen?
Scharrenbach: Strom und Wärme müssen sicher, sauber, aber auch bezahlbar sein. Diese Debatte ist in jüngster Vergangenheit unter dem Radar geblieben.
Müller: Da kann ich mich nur anschließen: Energie muss sauber und bezahlbar sein. Wir müssen aber auch garantieren, dass die gewohnt hohe Versorgungssicherheit bestehen bleibt, wenn wir von Kohle auf Wind und Sonne umstellen. Das andere ist: Der Bund muss sich stärker bei der energetischen Sanierung von Wohngebäuden engagieren, um den Energieverbrauch und damit den CO2-Ausstoß weiter zu reduzieren. Es kann doch nicht sein, dass immer noch Ölheizungen im Vergleich zu umweltfreundlichen Wärmepumpen steuerlich privilegiert sind.
Scharrenbach: Ich glaube, im Moment sind eher zu viele Förderprogramme auf dem Markt. Da blickt doch niemand mehr durch. Eigentlich ist alles da. Ich plädiere dafür, für einen begrenzten Zeitraum zu schauen, was funktioniert und was nicht funktioniert und durch welche Maßnahmen am meisten CO2 eingespart werden kann.