Mülheim. . Die Theodor Fliedner Stiftung gehört zu den bedeutenden sozialen Unternehmen im Land. 175 Jahre zwischen Wirtschaftlichkeit und Nächstenliebe.
Arbeitslosigkeit, Armut, schlechte Schulen und kaum Gesundheitsversorgung – die Not der Menschen ließ Theodor Fliedner nicht ruhen, als er im Jahre 1822 in Kaiserswerth das Amt des Pfarrers antrat. Er sammelte Spenden – sogar im Ausland – um in seiner Gemeinde zu helfen. Sein soziales Engagement mündete zwei Jahrzehnte später in der Gründung der Duisburger „Pastoralgehülfen- und Diakonieanstalt“, aus der die heutige Theodor-Fliedner-Stiftung in Mülheim hervorging.
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Im 175. Jahr ihres Bestehens hat sie es zu einem der bedeutendsten sozialen Arbeitgeber in Deutschland gebracht mit 2600 Beschäftigten, Krankenhäusern und Einrichtungen für Senioren, Behinderte und Menschen mit Suchterkrankungen an bundesweit 30 Standorten in sechs Bundesländern. Aktuell wird die Stiftung von einem dreiköpfigen Vorstand geleitet.
2600 Mitarbeiter an 30 Standorten
„Menschen mit Behinderungen wohnen heute in ganz normalen Gegenden mitten in der Gesellschaft. Für sie gibt es eine große Akzeptanz“, sagt Carsten Bräumer, der theologische Vorstand der Stiftung. „Hier greift der Inklusionsgedanke“, ist er überzeugt. „Wir haben unseren Beitrag dazu geleistet.“ Fliedner ist ein großer Player in der Arbeit mit Behinderten. 850 stationäre und ambulante Betreuungsplätze unterhält die Stiftung unter anderem in Duisburg, Potsdam und Wiehl im Erzgebirge. Herzstück ist aber das bunte Fliedner-Dorf in Mülheim mit kleinen Häusern und eigener Kirche.
Als soziales Unternehmen steht die Fliedner-Stiftung im Wettbewerb mit privaten, öffentlichen und kirchlichen Trägern. „Die Privaten machen auch einiges richtig. Wir kommen aber aus der Gemeinnützigkeit“, erinnert Bräumer an die Wurzeln des Konzerns. „Unser Ziel ist es, das Stiftungsvermögen zu erhalten. Dabei haben wir aber keine klassischen Renditevorstellungen. Wir schütten keine Gewinne aus“, betont der Vorstand. „Wir brauchen Erträge, die uns ermöglichen, in die Zukunft zu investieren.“
Bräumer ist davon überzeugt, dass die Wirtschaftlichkeit der Einrichtungen durchaus mit dem durch christliche Nächstenliebe geprägten Leitbild der Stiftung in Einklang zu bringen sei. „Es ist möglich, auch mit einem sozialen Unternehmen Geld zu verdienen“, sagt er. „Wenn wir nicht zurechtkämen, gäbe es uns nicht seit 175 Jahren.“
WDR lässt die Maus aus Mülheim verschicken
Weit über die Grenzen des Reviers hinaus bekannt sind auch die Fliedner-Werkstätten, die 600 behinderte Menschen beschäftigen und qualifizieren. Aus einer Logistikhalle in Mülheim etwa lässt der Westdeutsche Rundfunk Werbematerial verschicken – vornweg die prominente Fernsehmaus samt dem Elefanten. Die Werkstätten bieten aber auch Büroservice und Aktenvernichtung, verfügen über eine Landschaftsgärtnerei und Schreinerei.
„Unser Auftrag ist es, Menschen mit geistiger Behinderung und psychischen Erkrankungen sinnvolle Arbeitsplätze zu bieten und sie aber auch in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Dafür brauchen sie unsere Assistenz“, sagt Bräumer. Der Wechsel in eine Regelausbildung sei dabei „auch möglich“. Viele Klienten verbringen aber auch ihr gesamtes Arbeitsleben in den Fliedner-Werkstätten. „Ganz wichtig ist, dass die Menschen mit Behinderungen bei uns einen Rentenanspruch erwerben“, betont der Vorstand.
„Wir bieten Dienstleistungen zu Marktpreisen an“
Kritik etwa aus dem Mittelstand an den öffentlich subventionierten Dienstleistungen sieht Bräumer gelassen: „Wir bieten unsere Dienstleistungen zu Marktpreisen an. Wir sind nicht der billige Jakob“, sagt er. Die Löhne, die die behinderten Mitarbeiter erhalten, müssten aus dem laufenden Geschäft der Fliedner-Werkstätten heraus erwirtschaftet werden. Für den Stiftungsvorstand zählt aber auch ein anderes Argument, dessen Wert nicht in Euro und Cent zu beziffern sei: „Arbeit ist auch eine Form von Teilhabe am Leben“, so Bräumer. „Behinderte sind sehr mündig geworden. Sie können ihre Bedürfnisse artikulieren. Dazu trägt auch das Internet bei“, sagt er.
Und so wolle die Stiftung den Auftrag ihres Gründers Theodor Fliedner auch nach dem Jubiläum ernst nehmen. „Fliedner lebte mit offenen Augen. Auch wir wollen weiter hingucken und Bedarfe erkennen“, sagt Vorstand Bräumer. Eine Aufgabe der nahen Zukunft sei es, Wege zu finden, um etwa Demenz bei behinderten Menschen zu diagnostizieren. „Das ist bislang sehr schwierig.“