Neuenrade. . Ex-Google-Deutschland-Chef Christian Baudis sieht die deutsche Autoindustrie bei Zukunftsthemen auf der Kriechspur – aber Chancen für Zulieferer.
Das nächste Iphone wird der Haushaltsroboter. Jedenfalls ist Christian Baudis davon überzeugt. Der ehemalige Chef von Google-Deutschland ist heute selbstständiger Digitalunternehmer, bezeichnet sich als Futuristen und ist derzeit ein recht angesagter Key-Note-Speaker. Also so eine Art Aufklärer.
Jedenfalls, wenn es darum geht, Digitalisierung besser zu verstehen. Vielen der rund 300 Gäste beim 12. Verbandstag des Märkischen Arbeitgeberverbandes am Donnerstagabend in Neuenrade dürfte genau daran sehr gelegen sein – nämlich zu verstehen, nach welchen Parametern sich die Welt gerade in offenbar rasender Geschwindigkeit verändert. „Die Umwälzungen machen viel Angst“, weiß der Verbandsvorsitzende Horst-Werner Maier-Hunke. „Aber sie bergen auch Chancen.“
Es geht um Tempo
Zu erläutern, welche das sein könnten und wie man sie nutzt, überließ der erfahrene Iserlohner Unternehmer schließlich dem Wahl-Münchner und früheren Google-Deutschland-Chef Baudis. Die schlechte Nachricht: „Wir haben in Deutschland den Digitalisierungs-Zug mehrmals verpasst.“ Ob das so stimmt, sei dahingestellt.
Baudis gute Nachricht: „Wir können aufholen, wir müssen nur Geschwindigkeit aufnehmen.“
Es gehe darum, dabei zwei Themen zu beachten: Daten und eben Tempo. Deutschland sei ein Land, das viele Daten sammle, „aber wir wissen nicht, wie sie richtig ausgelesen werden“, benennt Baudis ein mögliches Grundproblem, das mittelständische Wirtschaft tangiert. Der Rat, „in Daten zu denken“, hört sich zunächst vielleicht abstrakt an. Wohin dies, konsequent betrieben, führen kann, ist leicht verständlich: Amazon.
Zur Person Christian Baudis
Christian Baudis hat bei der Dresdner Bank eine Banklehre absolviert und anschließend Management und BWL studiert. Von 2006 bis 2008 war er Google-Deutschland-Chef.
Heute ist der Wahl-Münchner Digitalunternehmer. Christian Baudis ist u.a. Gründer von My Digital, einem Unternehmen, das insbesondere Mittelständler beim Thema Digitalsierung berät.
Oder auch Google. Dass Baudis’ alter Arbeitgeber vor Jahren mit Autos durch jeden Winkel der Republik kurvte, Bilder von Gebäuden und Gegenden aufnahm, habe sich selbst dem Google-Experten damals nicht auf Anhieb erschlossen – heute sehe die Welt das Ergebnis. Es ging gar nicht darum, ein höchstgenaues und in Echtzeit arbeitendes Navigationssystem namens Google Maps zu kreieren. Ein veritables Nebenprodukt. Die eigentliche Absicht ist heute wieder auf der Straße zu sehen, wenn auch noch nicht in Deutschland: Das optisch gewöhnungsbedürftige Google-Auto, gebaut von Fiat-Chrysler, rollt heute bereits autonom durch die Straßen, während hierzulande der sogenannte Level 5 (Fahren ohne Person am Steuer) erst in fünf bis zehn Jahren erwartet wird. Die Systeme, die in Asiens Metropolen bald bereits zum Einsatz kämen, wie Baudis doziert, kämen natürlich nicht aus dem Land der Autobauer. „Deutschland hat es verschlafen!“
Und: Während BMW, Daimler und VW noch an eigenen Betriebssystemen für die Autos der Zukunft basteln, ist Google bereits mit Android Automotive für Elektroautos am Start. Ein schicker E-Volvo soll als erstes Serien-Modell damit ausgestattet sein. Und wieder macht es Google schlau: Android Automotive ist eine Open-Source-Software, auf deren Basis Automobilhersteller schnell und kostengünstig ihre Fahrzeuge ausstatten können – und Google Zugriff auf die begehrte „Währung“ Daten ermöglicht. Ein anderer Weg als beim VW-Konzern, der gemeinsam mit Microsoft eigene Lösungen entwickelt. Das dauert noch. Und es kostet viel.
Neue Roboter-Welten
„Ich weiß nicht, wie es den deutschen OEM (Originalhersteller/Red.) in ein paar Jahren geht“, sagt Baudis. Das bedeute aber nicht, dass die in Südwestfalen stark vertretenen Zulieferer sich auch weiter abhängen lassen müssten.
Den Sprung zu digitalen Geschäftsmodellen zu schaffen, „ist heute nicht mehr so schwierig. Sie sollten nur die Entwicklungen immer von der Kundenseite her denken. Und erst danach ihre IT-Abteilung einschalten.“ Ganz wichtige Reihenfolge, meint Baudis.
Warum also sollten nicht einige der 460 im Märkischen Arbeitgeberverand vertretenen Unternehmen bald im Zuge der Digitalisierung auch ihren Produkt-Fokus verändern. „Wäre ich heute Automobil-Zulieferer, würde ich morgen Zulieferer für Robotik“, rät Christoph Baudis. Er sieht den Menschen beinahe schon entspannt, weil durch Roboter befreit von ungeliebter Hausarbeit, die Wochenenden mit lauter Lieblingsbeschäftigungen verbringen – oder einfach gar nichts tun.
Will die heimische Wirtschaft etwas zu diesen noch etwas futuristisch anmutenden Vorstellungen beitragen, müsste sie sich wohl jetzt auf den Weg machen.