Essen. . Sozialbischof Overbeck zum Tag der Arbeit: Gegen Grundeinkommen, für offensiven Umgang mit der Digitalisierung und mehr Rente für Frauen.

Als Ruhrbischof begegnet Franz-Josef Overbeck dem Thema Arbeit, vor allem dem Mangel an Arbeit, zwangsläufig jeden Tag. Er ist aber auch offiziell Sozialbischof, seit ihn die Bischofskonferenz 2013 zum Vorsitzenden ihrer „Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz“ ernannt hat. Als solcher sprach er mit Stefan Schulte über den Wert und die Zukunft der Arbeit im Zeitalter der Digitalisierung.

Bischof Overbeck, der Staat und die Gewerkschaften feiern am 1. Mai den Tag der Arbeit, die nach wie vor rund 100.000 Langzeitarbeitslosen im Ruhrgebiet eher nicht. Wem gelten Ihre Gedanken am 1. Mai

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Bischof Franz-Josef Overbeck: In der historischen Bedeutung dieses Tages wird der Wert der Arbeit betont, insofern denke auch ich als Ruhrbischof an die, die Arbeit haben. Ich denke auch an die Unternehmer, die Arbeitsplätze schaffen. Doch, Gott sei es sehr geklagt, gibt es im Ruhrgebiet viel zu viele Arbeitslose, die nicht weniger im Fokus meines Interesses stehen. In manchen sozialen Schichten herrscht eine verfestigte, strukturelle Langzeitarbeitslosigkeit, mit der Tradition so genannter Hartz-IV-Familien ...

... ist es nicht traurig, im Zusammenhang mit Hartz IV schon von einer Tradition zu sprechen?

Franz-Josef Overbeck  im Gespräch.
Franz-Josef Overbeck im Gespräch. © Julia Tillmann

Overbeck: Ja, in der Tat. Aber es gibt nun einmal Familien, die seit drei, vier Generationen von Arbeitslosigkeit geprägt werden. Diese Strukturen aufzubrechen, ist schwierig. Und das hat Folgen für die gesamte Gesellschaft. Denn es entstehen ja neue Arbeitsplätze, für die viele Langzeitarbeitslose aber nicht qualifiziert genug sind. Wir haben hier ein großes Bildungsproblem. Da mit der Digitalisierung bereits der nächste große Wandel ansteht, mache ich mir große Sorgen, wie wir dieses Problem lösen können.

Ist es denn ein Wert an sich, Arbeit zu haben?

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    Overbeck: Unbedingt. Einen Wert an sich hat all das, was den Menschen in seiner Würde und Selbstbestimmung stärkt. Dazu gehört immer auch Arbeit, mit der man sein Leben selbstbestimmt gestalten kann. Eine Frage der Gerechtigkeit ist es dabei, mit seiner Arbeit auch genug zu verdienen, um sich und seine Familie ernähren zu können.

    http://Grundeinkommen-_So_lebt_es_sich_ohne_finanziellen_Druck{esc#216372635}[news]Die zunehmend diskutierte Idee vom staatlichen Grundeinkommen beinhaltet auch die Möglichkeit, sich gegen das Arbeiten zu entscheiden. Können Sie dem etwas abgewinnen?

    Overbeck: Ich halte viel von Ordnungspolitik. Die bedeutet hier, dass die Gesellschaft Arbeit so organisieren sollte, dass Leistung entlohnt wird und die Menschen davon leben können. Der Staat muss eingreifen, wo es nötig ist, und jenen helfen, die das nicht schaffen. Von einem Grundeinkommen für alle distanzieren wir uns als Kirche bewusst, weil wir die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft aufrecht erhalten wollen. Es gibt auch in der Kirche Stimmen, die ein Grundeinkommen fordern und für bezahlbar halten. Ich halte das für eine Illusion, gerade in Zeiten neuer Veränderungen. Die Schraube des Aufschwungs geht nicht ins Unendliche.

    Am Karfreitag
    Am Karfreitag © Caroline Seidel, dpa

    Zwingt uns vielleicht die Digitalisierung zu einem neuen Sozialstaatsmodell, in dem nicht mehr jeder arbeitet? Sie wird Schätzungen zufolge Millionen Jobs überflüssig machen.

    Overbeck: Wir werden uns mehr und stringenter um jene kümmern müssen, deren Fähigkeiten automatisiert und digital übernommen werden. Ich möchte aber am Prinzip festhalten, dass eine liberal organisierte Wirtschaft neue Tätigkeiten für diese Menschen finden sollte anstatt den Kopf in den Sand zu stecken. Solche Veränderungsprozesse hat es immer wieder gegeben, etwa als vor 200 Jahren eine landwirtschaftlich geprägte Gesellschaft in eine Industriegesellschaft umgeformt wurde. Jetzt erleben wir mit der Digitalität nicht nur eine Veränderung unserer Wirtschaft, sondern eine ganz neue Sicht auf die Welt. Sie verändert nicht nur unsere Arbeit, sondern auch unser Denken und die Weltwahrnehmung besonders der jungen Generationen.

    Was Sie aber nicht verteufeln, sondern Wege suchen, damit umzugehen

    Overbeck: Ja, und ich glaube auch, dass ganz neue Arbeitsfelder entstehen werden. Aber Übergangsphasen sind nie nur Gewinnerphasen, sondern tragen immer auch die Last der Verlierer mit sich. Das abzufedern ist die Aufgabe unserer Sozialgemeinschaft. Und ich verstehe es als Aufgabe der Kirche, in solchen Phasen die Stimme dafür zu erheben, dass es dabei möglichst gerecht zugeht.

    Abschied von der Kohle im Essener Dom: Mit einem feierlichen Gottesdienst wurde kurz vor Weihnachten des Steinkohlebergbaus gedacht. Sozialbischof Overbeck sieht bereits den nächsten großen Wandel durch die Digitalisierung kommen.
    Abschied von der Kohle im Essener Dom: Mit einem feierlichen Gottesdienst wurde kurz vor Weihnachten des Steinkohlebergbaus gedacht. Sozialbischof Overbeck sieht bereits den nächsten großen Wandel durch die Digitalisierung kommen. © Kai Kitschenberg

    Die vierte industrielle Revolution ersetzt auch qualifizierte Bürojobs bei Versicherungen, Banken und in allen Verwaltungen. Trotz Rekordbeschäftigung – müssen wir uns um die Mittelschicht sorgen?

    Overbeck: Die Verunsicherungsphänomene nehmen zu. Die Digitalität verändert alle Arbeitsstrukturen, von den Tätigkeiten der Hochqualifizierten bis hinein in den Niedriglohnsektor. Aber gerade im Mittelstand, dem Rückgrat unserer Gesellschaft und unseres Wohlstands, ändern sich die geforderten Qualifikationen. Niemand weiß, wie sich diese digitale Wirtschaft entwickeln wird. Ich bin mir aber keineswegs gewiss, ob die Arbeitsplätze der Mittelschicht wirklich wegfallen oder nur anders, eben digitaler organisiert werden können. Das muss das Ziel sein.

    Sehen Sie die Gefahr, dass die Digitalisierung den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft in Hoch- und Niedrigqualifizierte spaltet?

    Overbeck: Die Möglichkeit besteht nach der jetzigen Erkenntnislogik, da will ich nicht widersprechen. Aber wenn solche Umbrüche in den vergangenen 200 Jahren letztlich doch immer gemeistert wurden, warum soll das diesmal nicht möglich sein? Ich bin von Natur aus ein zuversichtlicher Mensch. Man muss sich nur jetzt darauf einlassen.

    „Ein neues Miteinander von Sozialem und Digitalem“

    Die Arbeit am Menschen können Programme nicht ersetzen. Im alternden Ruhrgebiet werden wir mehr Pfleger benötigen. Das sind Jobs, die viele nicht machen wollen. Wie lässt sich das ändern?

    Overbeck: Da vertraue ich auf die Mechanismen der Marktwirtschaft. Angebot und Nachfrage sollten solche Engpässe regulieren ...

    ... also für steigende Löhne und bessere Bedingungen sorgen, je mehr Pflegekräfte fehlen?

    Overbeck: Ja, die Löhne sind zuletzt auch schon gestiegen, da hat es eine erfreuliche Entwicklung gegeben. Und bei den Arbeitsbedingungen kann es auch ein neues Miteinander von Sozialem und Digitalem geben. Hier kann die Technik den Menschen mehr Zeit verschaffen, ihrer Arbeit nachzugehen. Programme könnten im Büro und Roboter bei körperlich schweren Arbeiten helfen, etwa beim Aufrichten und Heben pflegebedürftiger Menschen. Aber sie können niemals die Nähe zum Menschen ersetzen. Ich bin der Überzeugung, dass ein Mensch immer noch eine warme Hand und Augen braucht, die ihn anschauen. Und Worte, die sein Herz berühren.

    http://Für_die_Kirchen_gibt_es_deutliche_Grenzen_als_Arbeitgeber{esc#214045295}[news]Die Kirchen sind die größten Arbeitgeber im Pflegebereich und haben mit dem dritten Weg ihr eigenes Arbeitsrecht. Die Gewerkschaften möchten über Löhne und Bedingungen mitverhandeln, notfalls auch Streiks organisieren. Warum wollen Sie das nicht?

    Overbeck: Ich weiß, dass wir den dritten Weg klug und angemessen weiterentwickeln müssen, halte ihn aber nach wie vor für angemessen. Mir geht es um eine verträgliche Ordnung, die ohne Arbeitsniederlegung auskommt. Ich höre auch von ganz vielen Mitarbeitern, dass dies für sie kein Problem ist, solange die Mitbestimmung gewährleistet bleibt.

    „Wir verneinen das staatliche Streikrecht nicht“

    Immerhin sind Streiks ein staatliches Grundrecht . . .

    Overbeck:... das wir nicht verneinen, sondern nur anders verwirklichen.

    http://Flexible_Betreuung_soll_ausgeweitet_werden{esc#213623743}[news]In den Pflegeberufen arbeiten vor allem Frauen. Sie haben es oft schwer, Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Was tun Sie als Arbeitgeber?

    Overbeck: Die Wertigkeit der Lebenszeit, die Frauen für andere einsetzen, ob für Kinder oder zu pflegende Ältere, muss in der Gesellschaft stärker anerkannt werden, etwa auch bei der Bemessung der Rente. Wir versuchen in unseren Institutionen etwa durch Nachmittagsbetreuung in den Schulen und längere, flexiblere Öffnungszeiten unserer Kitas Frauen zu ermöglichen, ihrer Arbeit nachzugehen. Wir haben in zwei Kitas sogar eine 24-Stunden-Betreuung angeboten, was aber kaum angenommen wurde.

    Passt das denn ins katholische Familienbild – die Kinder möglichst lange abzugeben?

    Overbeck: Darum geht es ja nicht. Wir reden hier im Wesentlichen über alleinerziehende Frauen oder Eltern, die im Schichtdienst arbeiten, und die niemanden haben, der ihnen bei der Kinderbetreuung helfen kann. Auch sie müssen die Chance haben, einer auskömmlichen Arbeit nachzugehen. Deshalb habe ich trotz kritischer Stimmen auf die Schaffung solcher Einrichtungen gedrängt.