Berlin/Hagen. . Trotz der guten Arbeitsmarktlage sind in Deutschland leben noch knapp zwei Millionen Kinder und Jugendliche in Abhängigkeit von Hartz-IV.
Der anhaltende Aufschwung am Arbeitsmarkt hat offenbar auch für Kinder positive Effekte, wenn auch nur in Maßen. Erstmals seit 2013 ist die Zahl der Unter-18-Jährigen in sogenannten Bedarfsgemeinschaften (Hartz-IV) wieder gefallen. In NRW sank sie im Vergleich zum Vorjahr um 12.608 auf 566.470 Kinder oder 2,2 Prozent. Diese Tendenz bestätigte sich auch in Städten wie Hagen, dem Ennepe-Ruhr-Kreis und fast ganz Südwestfalen.
Das Ende von Kinderarmut in einer der reichsten Volkswirtschaften ist mit dieser Entwicklung aus Sicht von Experten aber keineswegs eingeläutet. „Der Rückgang kann jeden nur freuen“, sagt der Landespolitiker Wolfgang Jörg (SPD). Der Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Kinder und Jugend im nordrhein-westfälischen Parlament hält aber strukturelle Veränderungen wie eine Kindergrundsicherung für zwingend notwendig, um Kinderarmut im Land zu verringern. „Ich glaube, dass Hartz-IV einige Webfehler hat. Dass Kinder in die Berechnung kommen, obwohl sie nichts dafür können, gehört dazu.“
Weniger Familien von Unterstützung abhängig
Von 2017 auf 2018 sank die Zahl der Bedarfsgemeinschaften in NRW um 11.539 oder 3,8 Prozent auf 292.132.
Ende 2018 lebten in NRW in 35,8 Prozent aller Bedarfsgemeinschaften Minderjährige, insgesamt 566.470. Die Eltern im Hartz-IV-Bezug erhalten für sie je nach Alter zwischen 240 (bis 6 Jahre) und 316 Euro (bis 18 Jahre) Unterstützung nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II).
Jugendliche, deren Eltern Hartz-IV-Leistungen beziehen, könnten ihr Taschengeld nicht einmal mit einem Ferienjob übernehmen, weil der Verdienst angerechnet werde, so Jörg. Im schlimmsten Fall wäre die Erkenntnis für diese junge Menschen, dass sich Arbeit nicht lohne.
Eine Kindergrundsicherung würde zudem vieles vereinfachen. Sie gäbe es anstelle von Kindergeld, Kinderfreibeträgen oder Ansprüchen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket. Finanziell profitieren würden wohl vor allem Geringverdiener, aber auch Haushalte mit mittlerem Einkommen und nicht zuletzt Alleinerziehende und deren Kinder. Eine Gruppe, die laut der gestern von der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichten Statistik wenig von der Trendwende profitiert. In Nordrhein-Westfalen waren 2018 immerhin rund 50 Prozent der Bedarfsgemeinschaften, die Hartz-IV-Leistungen bezogen, Haushalte von Alleinerziehenden.
Nord-Süd-Gefälle in den Bundesländern
Dass die Zahl hilfebedürftiger Kinder in Deutschland im vergangenen Jahr erstmals seit fünf Jahren messbar gesunken ist, ist zwar erst einmal eine positive Nachricht. Aber immer noch leben knapp zwei Millionen Minderjährige in Familien, die über kein oder nur ein sehr geringes Einkommen verfügen und Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) beziehen, sogenannte Hartz-IV-Empfänger.
In Deutschland gibt es in der Statistik ein Nord-Süd-Gefälle. In Bremen lebten 2018 laut einer Statistik prozentual die meisten Kinder und Jugendlichen von der Grundsicherung. Dicht gefolgt von Berlin - in der Hauptstadt ist fast jedes dritte Kind in einer Familie, die von Hartz-IV lebt, insgesamt knapp 168.000 und damit mehr als in Baden-Württemberg (156.770/8,2 Prozent aller Kinder in Bedarfsgemeinschaften im Bundesland) und Bayern (143.436) 6,5 Prozent) ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die auf Unterstützung angewiesen sind, am geringsten. Mit 18,4 Prozent liegt NRW deutlich über dem Bundesschnitt von 14 Prozent.
Hohe Zahl Langzeitarbeitsloser
Nordrhein-Westfalen hat über 250.000 Langzeitarbeitslose, also Menschen, die nur wenig Perspektiven auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt haben, mit der der Lebensunterhalt unterstützungsfrei bestritten werden könnte.
Insbesondere viele Alleinerziehende trifft diese Entwicklung, und damit auch ihre Kinder. Eine Kindergrundsicherung würde hier helfen, mehr Chancen zu eröffnen, ist der Hagener SPD-Landtagsabgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Kinder, Jugend und Familie, Wolfgang Jörg, überzeugt.
Zusätzliche Unterstützung zur Regelleistung über das Bildung- und Teilhabepaket gibt es nur in engen Grenzen. Zudem werden die Gelder für einen Sportvereinsbeitrag oder Unterstützung für Nachhilfeunterricht nur mäßig angenommen.
Dass trotz boomenden Arbeitsmarktes und Höchststand an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen in den vergangenen Jahren eine Trendwende bei der Zahl hilfebedürftiger Kinder erst 2018 eintrat, lag laut Bundesagentur für Arbeit am Zuzug von Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit.
Hatten 2013 landesweit 96.372 der in Bedarfsgemeinschaften lebenden Kinder einen ausländischen Pass, waren dies 2017 im Dezember 187.458 Kinder und ein Jahr später 195.791 junge Menschen unter 18 Jahren. Von 2013 bis 2018 ergab sich in NRW damit einen Zuwachs von Kindern im Leistungsbezug von 103,2 Prozent, zuletzt, von 2017 auf 2018, von 4,4 Prozent. Ein wichtiger Hebel, diese Familien zu unterstützen, sei Förderung über Sprach- und Qualifizierungsprogamme, erklärt die Bundesagentur.für Arbeit.