Duisburg. . Thyssenkrupp will in einem Duisburger Hochofen Wasserstoff statt Kohle einsetzen. Langfristiges Ziel: eine „nahezu CO2-neutrale“ Stahlproduktion.
Hitze strömt durch die Wände des Hochofens 9 in Duisburg-Hamborn. Es brummt beharrlich und riecht nach Arbeit, aber Andreas Pinkwart verbreitet gute Laune. Zwei Vorstände der Thyssenkrupp-Stahlsparte sind gekommen, um dem NRW-Wirtschaftsminister Pläne vorzustellen, die den Hochofenbetrieb in Duisburg revolutionieren könnten. Statt Kohle will Thyssenkrupp in der Stahlproduktion zunehmend Wasserstoff einsetzen. Das Ziel ist, den Ausstoß des schädlichen Treibhausgases CO2 zunächst spürbar zu verringern und später womöglich vollständig zu vermeiden.
„Das ist eine Operation am offenen Herzen“, sagt Premal Desai, der Finanzchef der Stahlsparte. Im laufenden Betrieb will Thyssenkrupp testen, wie sich es auswirkt, wenn statt Kohlenstaub künftig Wasserstoff in den Hochofen eingeblasen wird.
Thyssenkrupp will Kohlendioxid vermeiden
Das Projekt ist mehrstufig angelegt. Als erster Schritt ist eine Testphase mit der Verwendung kleinerer Mengen von Wasserstoff geplant, später will Thyssenkrupp den gesamten Hochofen umstellen. Arnd Köfler, Produktionsvorstand der Stahlsparte, sieht ein Einsparpotenzial von rund 20 Prozent CO2, das Thyssenkrupp bereits in zwei Jahren erreichen will. Allerdings beziehen sich die Pläne lediglich auf einen von vier Hochöfen in Duisburg.
Derzeit benötigt Deutschlands größter Stahlkocher pro Tonne Roheisen rund 328 Kilogramm Koks und zusätzlich 171 Kilogramm Einblaskohle, um den Hochofen auf mehr als 1200 Grad Celsius zu erhitzen. Das könnte sich ändern, denn das langfristige Ziel von Thyssenkrupp ist, Stahl komplett ohne Kohle zu kochen. Von einer „nahezu CO2-neutralen Stahlerzeugung“ spricht Produktionsvorstand Köfler: „Dies wird ein langer und kostenintensiver Prozess.“
Milliardenschwere Investitionen erforderlich
Langfrist-Konzepte des Konzerns sehen Investitionen in Höhe von zehn Milliarden Euro bis zum Jahr 2050 vor. Gemessen daran ist eine finanzielle Förderung des Landes NRW in Höhe von 1,6 Millionen Euro für die erste Projektphase in Duisburg von eher symbolischer Natur.
Mit einem Kohleausstieg bei der Stahlerzeugung wäre wohl auch das Ende des klassischen Hochofens besiegelt. Großinvestitionen in sogenannte Direktreduktionsanlagen, die wasserstoffbasiert sind, stünden an.
Strengere Umwelt- und Klimaschutzauflagen sowie hohe Kosten für CO2-Emissionen setzen die Stahlbranche unter Druck. Nicht nur Thyssenkrupp, auch der Konkurrent ArcelorMittal treibt daher in Deutschland Pläne zur CO2-Verringerung im Stahlwerk voran. Noch in diesem Jahr will der Weltmarktführer in seinem Werk in Hamburg ein Projekt starten, bei dem ebenfalls Wasserstoff für die Stahlherstellung eingesetzt wird.
Auch durch das Klimaschutzprojekt Carbon2Chem will Thyssenkrupp den CO2-Ausstoß verringern. Dabei sollen Hüttengase aus dem Stahlwerk in Chemikalien wie Ammoniak umgewandelt werden. An dem Vorhaben sind neben Thyssenkrupp mehrere große Unternehmen wie Evonik, Clariant und Linde beteiligt. Hinzu kommt die Wissenschaft mit Fraunhofer in Oberhausen und dem Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion in Mülheim.
Air Liquide spielt Schlüsselrolle bei Duisburger Projekt
Bei den Plänen für eine wasserstoffbasierte Stahlproduktion spielt der französische Konzern Air Liquide eine Schlüsselrolle. Um den Hochofen von Thyssenkrupp mit Wasserstoff zu versorgen, will der Industriegase-Lieferant eine rund sechs Kilometer lange Pipeline bauen. Bereits jetzt betreibt der Konzern ein etwa 200 Kilometer langes Netz im Ruhrgebiet. Bis die neue Pipeline steht, will Air Liquide den Thyssenkrupp-Hochofen mit Tanklastern beliefern.
„Hier in Duisburg wird nun ein bedeutendes Kapitel der industriellen Entwicklung aufgeschlagen“, sagt Air Liquide-Deutschlandchef Gilles Le Van mit Blick auf die angestrebte „Dekarbonisierung der Stahlerzeugung“. Wissenschaftliche Unterstützung erhalten Thyssenkrupp und Air Liquide vom Düsseldorfer Stahlforschungsinstitut BFI.
CO2-Emissionen um mindestens 80 Prozent vermeiden
Im Hochofenbetrieb werden derzeit durchschnittlich 1530 Kilogramm Kohlendioxid pro Tonne Roheisen ausgestoßen. Thyssenkrupp hat als Ziel ausgegeben, die bislang bei der Produktion anfallenden CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050 um „mindestens 80 Prozent“ zu verringern.
NRW-Wirtschaftsminister Pinkwart sagt, er setze darauf, dass ambitionierter Klimaschutz mit einer international wettbewerbsfähigen Industrie erreicht werde: „Wir wollen der Welt zeigen, dass wir die besten und umweltfreundlichsten Stahlwerke bauen können.“
Horst Gawlik, der für die IG Metall die Arbeitnehmerinteressen in Duisburg vertritt, verweist beim Besuch des Ministers auf rund 20.000 Beschäftigte am Stahlstandort. Gawlik lobt, dass sich Thyssenkrupp mit dem Wasserstoff-Projekt „an die Spitze der Bewegung“ stelle. Letztlich gehe es auch um die Existenz der gesamten Branche, mahnt der Gewerkschafter und fügt hinzu: „Die Bundesrepublik Deutschland ohne Stahl kann ich mir nicht vorstellen.“