Essen. . Das Geschäft mit Bio-Lebensmitteln boomt. Verdi beklagt die Arbeitsbedingungen bei den Öko-Ketten. Gewerkschaft spricht von „Bio-Kapitalismus“.
Obwohl das Geschäft mit ökologisch erzeugten Lebensmitteln boomt, wirft die Gewerkschaft Verdi den großen Bio-Ketten vor, Mitarbeiter schlecht zu bezahlen und die Wahl von Betriebsräten zu behindern. „Das sind Bio-Kapitalisten, die nichts mit Gewerkschaften und Arbeitnehmergremien zu tun haben wollen“, sagte Bundesfachgruppenleiter Orhan Akman unserer Redaktion.
Die Liste der Vorwürfe an Bio-Supermarkt-Anbieter wie Alnatura, Denn’s, Bio Company und anderen ist lang. Nach Akmans Angaben lehnen die Unternehmen ab, dem Flächentarifvertrag für den Einzelhandel beizutreten. „Wir kritisieren, dass die Beschäftigten länger als 37,5 Stunden pro Woche arbeiten und auf Zuschläge verzichten müssen. Zudem haben sie weniger Urlaub als ihnen tariflich zustehen würde“, sagt der Gewerkschafter. Eine Alnatura-Sprecherin sagte, die Biokette orientiere sich bei der Bezahlung am Tarifvertrag für den Einzelhandel.
Wenn Orhan Akman über die Situation in den großen Bio-Supermarktketten redet, gerät der Verdi-Mann rasch in Rage. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass ausgerechnet in einem Zweig des Einzelhandels, der sich Nachhaltigkeit, Tierwohl und Regionalität auf die Fahnen schreibt, eine Politik gegen Arbeitnehmerrechte gefahren wird“, schimpft der Gewerkschafter. Selbst die Discounter Aldi, Netto, Lidl und Penny seien inzwischen tarifgebunden und zahlten ihren Mitarbeitern Zuschläge.
Die Arbeitsbedingungen in den Ökoläden stehen seit Jahren in der Kritik. Auf der einen Seite profitieren die großen Ketten vom Bio-Boom. Auf der anderen Seite geraten sie auch immer mehr unter Druck, weil sich Bio inzwischen im gesamten Einzelhandel durchgesetzt hat. „Der Wettbewerb ist sehr viel härter geworden, weil Discounter ihr Sortiment mit ökologischen und fair gehandelten Produkten deutlich ausgebaut haben“, sagt Kai Falk, Geschäftsführer des Handelsverbands Deutschland.
Denn’s: Zahl der Filialen mehr als verdoppelt
Die Bio-Ketten reagieren mit Expansion auf die immer größer werdende Nachfrage. Das Unternehmen Denn’s etwa hat seine Supermarkt-Zahl bundesweit von 113 im Jahr 2013 auf inzwischen 280 mehr als verdoppelt. Alnatura baute das Filialnetz in demselben Zeitraum von 74 auf 133 aus. Auch kleinere Anbieter wie Super Biomarkt legten von 19 auf 26 Standorte zu. Nach Zahlen des Handelsinstituts EHI stiegen gleichzeitig die Personalkostenanteile am Gesamtumsatz in Naturkost-Fachgeschäften und in Bio-Supermärkten von 14,7 Prozent im Jahr 2009 auf 17,5 Prozent 2017.
Hinzu kommt, dass die Fachgeschäfte vom Bio-Boom der vergangenen Jahre deutlich weniger profitieren konnten. Laut EHI steigerten sie ihren Umsatz mit Bio-Lebensmitteln von 2,47 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf gerade einmal 2,93 Milliarden Euro 2018. Der Anteil der Öko-Artikel im Lebensmittelhandel legte dagegen von 4,21 auf 6,43 Milliarden Euro zu.
Alnatura: Orientieren uns am Flächentarifvertrag
Alnatura kam im Geschäftsjahr 2017/18 mit 133 Filialen, davon 17 in NRW, auf einen Nettoumsatz von 822 Millionen Euro – 6,8 Prozent mehr als im Geschäftsjahr davor. „Wir zahlen selbstverständlich nach Einzelhandelstarif und liegen in vielen Fällen sogar darüber“, sagt eine Alnatura-Sprecherin. Man orientiere sich am Flächentarifvertrag.
Genau hier setzt die Kritik von Verdi an. Viele Bio-Händler gäben an, sich am Tarifvertrag zu orientieren. Die Realität sähe aber anders aus, meint Orhan Akman. Er bemängelt, dass es in den Bio-Supermärkten keine Betriebsräte gebe. „Als Gewerkschaft können wir den Kolleginnen und Kollegen nur Mut machen, sich zu organisieren, und genau hinschauen, was im Bio-Einzelhandel passiert“, sagt Akman.
Keine Betriebsräte in Bio-Supermärkten
Mit Alnatura lag die Gewerkschaft deshalb bereits vor Gericht. Angestellte einer Filiale in Bremen wollten schon vor Jahren einen Betriebsrat wählen. Das soll die Filialleitung torpediert haben. Der Fall ging bis vor das Bundesarbeitsgericht. Eine Entscheidung steht noch aus.
Die Alnatura-Sprecherin betont, dass es „bisher nur in einem einzigen unserer Märkte den Wunsch nach einem Betriebsrat gab, und das liegt schon einige Jahre zurück. Wir sind überzeugt vom Mitgestaltungswillen und der Selbstverantwortung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und agieren entsprechend.“
Discounter stehen zur Tarifbindung
Damit will sich Verdi-Mann Akman nicht zufrieden geben und verweist auf die Entwicklung im übrigen Handel. „Discounter sind inzwischen fast alle tarifgebunden und zahlen zum Teil Zuschläge. Bei Penny und Netto gibt es flächendeckend Betriebsräte“, sagt er. „Im Bio-Einzelhandel gibt es dagegen weder Tarifbindung und bis auf einzelne Filialen keine Mitbestimmung.“
Akman will seinen Kampf aber nicht aufgeben und erinnert an die Entwicklung bei der Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland, die sich inzwischen zur Tarifbindung bekennt. „Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir die früheren Zustände in dem Unternehmen öffentlich kritisiert haben“, meint der Verdi-Einzelhandelsexperte. „Inzwischen hat es in der Schwarz-Gruppe einen Kulturwandel gegeben.“ Immerhin: Bei Denn’s in Nordbayern wird gerade eine Betriebsratswahl vorbereitet.