Essen. . Vor der Übernahme durch Eon versprüht Innogy-Chef Uwe Tigges Selbstvertrauen. „Es gibt keine Schockstarre. Wir sind quicklebendig“, sagt er.

Innogy hat den Business Club im Stadion Essen gebucht, um Forschern und Entwicklern aus dem Konzern eine Bühne zu geben. Ein Team präsentiert ein Shirt mit eingebautem Stress-Warn-System. „Das hätte ich im März gebraucht“, sagt Innogy-Chef Uwe Tigges, als er sich die Projektarbeit vorstellen lässt. Im März ist bekannt geworden, dass der Energieriese Eon die benachbarte RWE-Tochter Innogy kaufen und zerschlagen will. Tigges möchte heute vor allem über das bislang Erreichte im Innogy-Konzern reden. Am Rande des Firmen-Forums spricht er aber auch über Ängste der Mitarbeiter vor der geplanten Übernahme durch Eon.

Herr Tigges, beim Start vor drei Jahren hat sich Innogy als buntes, kreatives Unternehmen präsentiert. Was ist davon geblieben, seit klar ist, dass Innogy in Eon aufgehen wird?

Tigges: Es gibt keine Schockstarre. Wir sind quicklebendig – und wir entwickeln uns weiter. Unser Fokus liegt auf dem Tagesgeschäft, und natürlich haben wir die Zukunftsthemen im Blick. Die Trends in der Energiewirtschaft, auf die wir uns einstellen, sind unverändert: Digitalisierung, Dezentralisierung und Dekarbonisierung. Die Veränderungen sind rasant, und wir wollen an der Spitze der Bewegung stehen. Diesen Anspruch geben wir doch nicht auf, nur weil geplant ist, dass sich unsere Aktionärsstruktur verändert.

Die großen Energieversorger wie Eon und der Innogy-Mutterkonzern RWE sind als Monopolisten stark geworden. Sie stammen aus einer Zeit, in der es keine Kunden, sondern Abnehmer gab. Heute ist der Markt hart umkämpft, auch bei Geschäften jenseits der Strom- und Gasverträge. Wie schlägt sich Innogy dabei?

Tigges: Wir sind stolz auf das, was wir seit dem Start erreicht haben. Dass kein Stillstand herrscht, lässt sich auch an einer Zahl ablesen, die Aufschluss über unsere Innovationsfähigkeit gibt: Innogy verfügt derzeit über rund 1100 Patente und Patentanmeldungen weltweit, die auf knapp 400 Erfindungen beruhen. Alleine in diesem Jahr sind rund 100 neue Erfindungen hinzugekommen, unter anderem für Themen wie die Elektromobilität oder smarte Energienetze. Es hat sich ja offensichtlich auch herumgesprochen, dass wir bei vielen Themen gut aufgestellt sind.

Ihr Vorgänger Peter Terium wollte Innogy den Gründergeist von Start-ups aus dem kalifornischen Silicon Valley einhauchen. War das der richtige Ansatz?

Tigges: Es war und ist eine nachvollziehbare Strategie, die wir im Grundsatz weiterverfolgen. Wir blicken nicht nur aufs Silicon Valley, sondern auch nach Tel Aviv und andere innovative Regionen. Ich bin ein Ruhrgebietskind und in Unternehmen wie VEW und RWE sozialisiert worden, die noch glaubten, sie könnten alles alleine machen und jedes Problem selbst lösen. Doch heute sehen wir, wie wichtig Netzwerke und Partnerschaften von Firmen und Forschungsinstituten sind. Dort liegt die Zukunft.

Waren Sie schon im Silicon Valley?

Tigges: Nein, aber viele Kollegen von mir waren aus gutem Grund dort. Im Übrigen haben wir auch und gerade im Ruhrgebiet gute Hochschulen und Institute, mit denen wir intensiv zusammenarbeiten. Wir schmoren nicht im eigenen Saft.

Mit Hilfe eines Programms namens „Innovation Hub“ wollen Sie die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle vorantreiben. Gibt es erste Ergebnisse?

Tigges: Mit dem Innogy Innovation Hub reagieren wir darauf, dass Start-ups mit disruptiven Ideen unser klassisches Geschäftsmodell angreifen und gleichzeitig die Branchengrenzen zunehmend verschwimmen. Autohersteller befassen sich ebenso mit der Elektromobilität wie wir als Energiekonzern. Intelligente Gebäudetechnik ist nicht nur für uns, sondern auch für Wohnungsunternehmen ein wichtiges Thema. Auch unser Verhältnis zum Verbraucher verändert sich. Viele Kunden sind selbst zu Stromproduzenten geworden, darauf stellen wir uns ein. Aber klar ist auch: Veränderungen gibt es nicht per Knopfdruck. Das braucht Zeit. In manchen Bereichen wie der Elektromobilität dauert es etwas länger. Im Geschäft mit neuen Glasfaserleitungen geht es etwas schneller.

Ziel von Peter Terium war auch, eine neue Unternehmenskultur bei Innogy zu etablieren – unter anderem mit Hilfe eines konzernweiten Programms namens „New Way of Working“. Läuft das Projekt weiter?

Tigges: Ja, nicht nur die Technologien, auch die Menschen müssen sich weiterentwickeln. Um die Zukunftsthemen zu bewältigen, benötigen wir eine Veränderung auch in der Denkweise der Mitarbeiter, daher läuft das Projekt weiter.

Verglichen mit anderen Industriekonzernen investieren Energieversorger relativ wenig Geld in Forschung und Entwicklung. Ist das bei Innogy anders?

Tigges: Die Basis für Innovationen sind Forschung und Entwicklung. Wir haben mehr als 350 Mitarbeiter im Konzern, die sich in Voll- oder Teilzeit mit diesen Themen befassen. Pro Jahr investieren wir etwa 100 Millionen Euro in Forschung & Entwicklung sowie Innovationen. Unsere Stärken liegen insbesondere in einer engen Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern in den Regionen und der Zentrale, wenn es beispielsweise um Themen wie die Technologie-Früherkennung geht.

Den Innogy-Beschäftigten wird viel abverlangt: Zunächst das Ziel, eine neue Unternehmenskultur zu etablieren, nun die anstehende Übernahme durch Eon – wie nehmen Sie die Stimmung im Unternehmen wahr?

Tigges: Natürlich gibt es Ängste und Fragen, aber ich spüre auch einen sehr starken Zusammenhalt und eine echte Miteinander-Kultur. Auch unsere Fortschritte bei Forschung und Entwicklung zeigen: Wir müssen uns nicht verstecken, sondern können erhobenen Hauptes nach vorne blicken.