Berlin.

Um Stromkonzerne wie RWE und E.ON zu schonen, will NRW mit aller Macht im Bundesrat verhindern, dass die Länder strengere Auflagen für die Stilllegungs-, Abbau- und Entsorgungskosten der Atommeiler fordern.

Die AKW-Betreiber sind gesetzlich verpflichtet, Vorsorge zu treiben. Aber keiner weiß, ob die Rückstellungen von schätzungsweise 35 Milliarden Euro belastbar sind. Die rot-grün regierten Länder Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein fordern deshalb unabhängige Prüfungen und eine rechtsverbindliche Absicherung für den Fall einer Insolvenz. Als sie das im Bundesrat am 19. September beantragten, organisierte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) buchstäblich über Nacht eine Mehrheit, um die Entschließung zu vertagen. Bis heute. Heute steht die Entscheidung an, und wieder zieht Kraft alle Register. Der Antrag soll keine Mehrheit finden oder entschärft werden, was ihr wohl lieber wäre.

Grüne haben kein Verständnis

Dabei bleibt die Ministerpräsidentin selbst im Hintergrund. Eine Light-Version des Antrags soll Hamburg einbringen und alle Forderungen in „Prüfbitten“ an die Bundesregierung umwandeln. Auf die Rednerliste hatte sich bis gestern auch kein Mitglied von Krafts Kabinett setzen lassen. „Wir halten das, ehrlich gesagt, nicht für ein so relevantes Thema, dass wir es zusätzlich ins Schaufenster stellen müssen“, erklärte die Bevollmächtigte Angelica Schwall-Düren (SPD).

Bei den Grünen ist die Empörung groß. Erst hatte NRW den Antrag in den Ausschüssen passieren lassen, sodass landauf, landab rot-grüne Landesregierungen arglos waren - und dann das, die Vertagung. „Eine absolute Blutgrätsche“, schimpfte Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne) in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Auch die NRW-Grünen haben für Krafts Intervention kein Verständnis. Wenn bis heute kein Kompromiss gelingt, wird sich NRW im Bundesrat der Stimme enthalten. Das ist bei Streitfragen so üblich.

Die Grünen würden gern auf den Busch klopfen. Sie wollen wissen, ob die Rückstellungen da sind, wenn man das Geld braucht. „Dass die Staatskanzlei in NRW so willfährig den Wünschen der Atomenergie nachgibt, ist echt krass“, ätzt der Kieler Minister Habeck. Er führe es auf eine „zu große Abhängigkeit“ der NRW-SPD gegenüber der Atomlobby zurück.

24 Milliarden Euro Rückstellung bei RWE und E.ON

Schwall-Düren verweist darauf, dass die Konzerne ob der Energiewende „vor großen Herausforderungen“ stünden. Eine „Konkretisierung“ ihrer Rückstellungen „könne eine zusätzliche Belastung bedeuten“. Diese Sorge „teile ich nicht“, gibt Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) kühl zu Protokoll.

Wie sehr NRW-Konzerne betroffen sind, zeigt ein Blick in die Bilanzen. Bei RWE und E.ON geht es zusammen um 24 Milliarden Euro an Rückstellungen. Diese Posten darf man sich nicht als Festgeldkonten vorstellen. Die Mittel sind oft in Investitionen geflossen. Den Firmen käme es nicht gelegen, wenn sie die Gelder aufbringen und in einen Fonds überführen müssten.

Hinter den Kulissen wird in Berlin gemunkelt, die Konzerne hätten interveniert. Angelica Schwall-Düren stellt klar, dass sich niemand bei ihr gemeldet habe. Auf die Idee käme auch keiner. Die Energiepolitik ist in Düsseldorf Chefsache. Die Koordinierung läuft über die Staatskanzlei.

Skurril ist an der Auseinandersetzung, dass eine Entschließung im Bundesrat bloß einen Appell-Charakter hat. Ist es dann die Aufregung wert? „Da sind auf allen Seiten die Erwartungen etwas hoch gewesen“, erzählt Angelica Schwall-Düren. Man müsse mit dem Thema auch heute nüchtern umgehen und „es auf den Boden der Tatsachen runterholen“.