Berlin/Hamburg. .

Das erste Selbstbedienungsgeschäft für Lebensmittel in Deutschland öffnete vor 65 Jahren, im September 1949, im Hamburger Stadtteil St.Georg. Manche Kunden trauten sich anfangs nicht, die Gemüsedosen und Kaffeepackungen selbst aus den Regalen zu nehmen – vorher waren schließlich alle Waren von Verkäufern über die Theke ausgegeben worden. Anlässlich des Jubiläums fragt der Interessenverband Lebensmittelwirtschaft: „Wie könnte das Einkaufen in der Zukunft ablaufen?“

Online-Shoppen

Darüber, welchen Umfang der Einkauf von Lebensmitteln im Internet bald annehmen wird, streiten die Experten. Die Prognosen liegen sehr weit auseinander. Nur einen Anteil von etwa drei Prozent bis 2025 prognostiziert Wirtschaftsprofessor Joachim Zentes von der Universität des Saarlandes. Max Thinius vom Online-Supermarkt-Anbieter Allyouneed rechnet hingegen mit bis zu 30 Prozent. Die Tochter von Deutsche Post DHL verzichtet heute bereits auf traditionelle Geschäfte, nimmt die Bestellungen der Kunden per Internet an und liefert die Waren in die Haushalte. Aber auch konventionelle Handelsketten experimentieren mit Online-Bestellung und Bringservice, beispielsweise die Mülheimer Tengelmann-Gruppe.

Technik im Supermarkt

Künftig werden wohl die Einkaufswagen in den Supermärkten aufgerüstet. Sie könnten die Kunden selbstfahrend durchs Geschäft begleiten, damit die Älteren sich nicht anzustrengen brauchen und die Hände frei haben. Sprechende Computer an den Wagen liefern möglicherweise Informationen zu den Waren, an denen die Kunden gerade vorbeigehen. Es wird Kassen ohne Personal zum Selbstscannen der Spagetti, des Obstes und der Milch geben. Bei Ikea sind vergleichbare Einrichtungen heute schon verbreitet. Das Bezahlen kann später durch Abbuchen via Smartphone erfolgen.

Datenverweigerung

Bei solchen technikoptimistischen Perspektiven vergessen die Betriebsplaner allerdings, dass es einen wachsenden Anteil der ­Bevölkerung geben könnte, der die Nutzung von Computern und Internet nicht ausdehnen, sondern ­reduzieren möchte, um die digitale Privatsphäre zu schützen. Und viele ältere Verbraucher kommen ­vielleicht mit der für sie komplizierten Technik nicht zurecht.

Emotionaler Handel

Viele Kunden verlangen nicht mehr nur Lebensmittel, sondern auch Produkte mit bestimmtem, auch moralischem Mehrwert (fairer Handel). Ihnen kommt es etwa darauf an, dass die Nahrung nach ökologischen Richtlinien erzeugt wurde, aus regionalem Anbau stammt, fair, vegetarisch oder vegan ist. Daraus folgt eine Auffächerung des ­Angebotes in zahlreiche Nischen, die damit künftig weiter zunehmen werden.

Schlaraffen-Konzepte

Die aus den USA stammende Kette Wholefoods verkauft umweltbewusste, hochwertige Lebensmittel in Kombination mit weiteren Angeboten. So können sich die Kunden in Restaurant-Nischen ausruhen und stärken. Beim italienischen Konzept Eataly, das unter anderem in den USA und Japan erfolgreich ist, sind die hochpreisigen Lebensmittel in den Geschäften nach den Regionen Italiens geordnet. Gemäß dem Motto „Essen. Kaufen. Lernen“ erfahren wissbegierige Kunden, wie der Parma-Schinken in der Stadt Parma traditionell hergestellt wird. Solche Trends finden sich auch in der zunehmenden Zahl von Markthallen in deutschen Städten.

Drohnen und Preise

Die Lieferung von Waren per Kleinhelikopter nach Hause, wie Amazon sie testet, werde sich im Lebensmittelhandel auf absehbare Zeit nicht durchsetzen, sagte Allyouneed-Sprecher Thinius. Die Drohnen könnten das große Gewicht alltäglicher Einkäufe schlicht nicht transportieren. Und sicher sei, so meinen die Branchenvertreter: Niedrige Preise werden in Discount-Deutschland weiterhin eine entscheidende Rolle spielen – trotz aller Versuche der Aufwertung des Nahrungsmittelangebotes.