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Große Krisen teilen sich oft in kleinen Dingen mit. Bei RWE ist es ein handlicher weißer Apparat. Den können Kunden des Essener Konzerns am heimischen Stromzähler anbringen. Das Gerät scannt den aktuellen Stromverbrauch und sendet ihn als Information auf das Smartphone. Den Ausleser vertreibt RWE derzeit unter Gewerbetreibenden. Über ein Angebot an Privatkunden werde nachgedacht, sagt Arndt Neuhaus. Er ist Chef der Konzerntochter Deutschland AG, mithin ein mächtiger Mann im engsten Führungszirkel des zweitgrößten deutschen Energiekonzerns.
Für Milliardensummen verantwortliche Konzernbosse kümmern sich um ein gerade einmal hundert Euro teures Bauteil: Das zeigt, unter welchem Anpassungsdruck der Energieriese und seine konzernweit rund 65 000 Beschäftigten derzeit stehen. Ein gigantischer Schuldenberg und die infolge der Energiewende wegbrechenden Erlöse aus den Kohle- und Kernkraftwerken schütteln den Konzern durch wie noch nie in der Firmengeschichte.
„RWE befindet sich zweifellos in einer sehr schwierigen Situation“, sagte Ralf Sikorski, Vorstand der Gewerkschaft IG BCE und RWE-Aufsichtsratsmitglied, im Gespräch mit unserer Zeitung. „Dass es immer schwerer wird, konventionelle Kraftwerke rentabel zu betreiben, erfüllt uns mit großer Sorge.“
Der Verkauf von Unternehmensteilen (DEA) spült zwar große Summen in die leeren Kassen. Stille Reserven will man auch beim Verkauf des Essener RWE-Turms heben. Gestern gab der Konzern außerdem die Veräußerung eines Offshore-Windparks in der Nordsee bekannt.
Doch Firmenverkäufe allein werden den Konzern wohl kaum retten. Geradezu verzweifelt sucht das Management deshalb nach neuen Geschäftsfeldern, die den Einbruch bei den Kraftwerkserlösen dauerhaft kompensieren können. Als „alternativlos“ stuft RWE-Deutschland-Chef Neuhaus den Wandel des Unternehmens vom klassischen Kraftwerksbetreiber zum Infrastruktur-Konzern ein. Schon jetzt werde ein Großteil der Erlöse – rund 70 Prozent – nicht mehr in der Stromerzeugung durch große Kraftwerksblöcke erzielt. „Die Kunden erzeugen ihren Strom mehr und mehr selbst“, sagt der neue RWE-Vertriebschef Carl-Ernst Giesting.
Gespart wird am Personal, der Jobabbau läuft. In der Belegschaft herrscht Verunsicherung. Ende des Jahres endet die Zusage, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. IG BCE-Vorstand Sikorski mahnt die Konzernführung, „die gute Kultur der Mitbestimmung nicht über Bord“ zu werfen.