Detroit.
. Ein Paradies für Fußgänger ist Detroit nicht gerade. Die Wege sind lang, die Bürgersteige baufällig und Busse verkehren eher selten. Entsprechend leer wirkt die Innenstadt stellenweise. Warum, dachte sich eine Gruppe von Unternehmen und Stiftungen, bauen wir keine Straßenbahn, um die Stadt attraktiver zu machen? In anderthalb Wochen beginnen die Bauarbeiten, in zwei Jahren soll die gut fünf Kilometer lange Trasse fertig sein. Dieses kühne Unterfangen passiert ausgerechnet zu einer Zeit, in der die Autostadt mitten in der größten kommunalen Insolvenz der US-Geschichte steckt.
Vor einem Jahr, am 18. Juli 2013, trat Detroit den Gang zum Insolvenzgericht an. Vorausgegangen waren Jahrzehnte der Misswirtschaft, der Korruption und des industriellen Niedergangs. Die meisten der einst so stolzen Autofabriken hatten geschlossen oder Arbeiter durch Roboter ersetzt. Viele Menschen traten daraufhin die Flucht an: Die Zahl der Einwohner schrumpfte von 1,8 Millionen in den 1950er Jahren auf heute 700 000. Häuser verfielen, Straßenzüge verödeten. Gleichzeitig wuchs der städtische Schuldenberg auf 18 Milliarden Dollar an.
Seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens jagt ein Gerichtstermin den nächsten. Stadtobere, Investoren und städtische Pensionäre feilschen darum, wer welche Opfer bringen muss, um den Schuldenberg zu verkleinern. Der ursprüngliche Plan war, bis Anfang 2015 eine Lösung zu finden und Detroit aus der Insolvenz zu führen. So lange aber wollen Bürger und Unternehmer nicht warten – sie nehmen das Schicksal ihrer Stadt selbst in die Hand, wie im Falle der Straßenbahn.
Die M-1-Rail soll entlang der Woodward Avenue verlaufen, einer der Hauptverkehrsadern in Downtown Detroit. Die Trasse führt vorbei an der weitläufigen Wayne State University, dem renommierten Kunstmuseum Detroit Institute of Arts, großen Krankenhäusern, zahlreichen Geschäften und Bürohäusern, dem Detroit Symphony Orchestra, dem Baseball-Stadion und endet vor der Zentrale von General Motors. Matthew Cullen, der Kopf von M-1-Rail, rechnet mit einer „Initialzündung“ für die Wirtschaft und jeder Menge neuer Jobs entlang der Strecke. Finanziert wird das Ganze mit einer Mischung aus privatem und staatlichem Geld. Auf der Liste der Sponsoren finden sich der Autobauer Chrysler, die Bank of America oder der Versicherer Blue Cross Blue Shield. Die Planungen für die Straßenbahn fingen zwar schon 2007 an, aber es ist bezeichnend, dass der Baubeginn mitten in der Insolvenz stattfindet.
Der Name Quicken Loans taucht ebenfalls auf der Spenderliste auf. Der große US-Immobilienfinanzierer hatte seine Zentrale 2010 in die Stadt verlegt. Die Firmengruppe hat seitdem 1,3 Milliarden Dollar in die Stadt investiert und mehr als 60 Bürogebäude gekauft, die teils selbst genutzt, teils vermietet werden. Mitgründer Dan Gilbert stammt aus Detroit und will der Stadt neues Leben einhauchen. Selbst nach Eröffnung der Insolvenz kaufte er weitere Immobilien hinzu. Inzwischen arbeiten 12 000 Leute in Detroit für ihn. So kommt Detroit mit viel Privat-Engagement Stück für Stück heraus aus dem Elend.