Berlin.

Millionen Arbeitnehmer können sich dieses Jahr dank des Aufschwungs über spürbar höhere Löhne freuen. Nach Einschätzung des gewerkschaftsnahen Tarifarchivs bei der Hans-Böckler-Stiftung werden die Bruttolöhne der Beschäftigten in tarifgebundenen Branchen 2014 im Schnitt um 3,1 Prozent zulegen – und damit so kräftig steigen wie seit 15 Jahren nicht mehr. Das geht aus einer Auswertung der Düsseldorfer Tarifexperten hervor, für die alle bisherigen Tarifabschlüsse im ersten Halbjahr und die noch bis Jahresende gültigen Abschlüsse aus dem Vorjahr ausgewertet wurden. Zieht man die zu erwartende Geldentwertung von gut einem Prozent ab, bleiben den Tarifbeschäftigten tatsächlich (real) etwa zwei Prozent mehr Kaufkraft im Portemonnaie.

Böckler-Tarifexperte Reinhard Bispinck verweist im NRZ-Gespräch auf die gute Konjunktur und auf die vergleichsweise hohen Tarifabschlüsse in diesem Jahr. „Jedoch werden nur noch rund 58 Prozent der Betriebe von einem Tarifvertrag erfasst“, sagt Bispinck. Der ermittelte Wert ist insoweit weniger aussagekräftig als in früheren Zeiten vor der Erosion der Tarifbindung. Erfasst werden rund 16,5 Millionen Beschäftigte.

Interessant ist deshalb auch der Blick auf die Arbeitnehmer ohne Tariflohn. Hier ist die Datenbasis dünner. Zieht man den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung und anderer amtlicher Institutionen zu Rate, liegen die Prognosen für die Bruttolöhne für dieses Jahr bei einem Plus zwischen 2,6 und 2,9 Prozent. Tarifangestellte bekommen also etwas mehr Geld als ihre Kollegen ohne Tarifvertrag.

Karl Brenke, Arbeitsmarktexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), weist im NRZ-Gespräch jedoch auf die Schwierigkeiten solcher Prognosen hin. So lasse sich nur schwer absehen, ob Unternehmen von tarifvertraglichen Öffnungsklauseln Gebrauch machten oder wie hohe übertarifliche Zulagen, Überstunden oder Weihnachtsgeld bis zum Ende des Jahres gezahlt werden.

Tarifgefüge wird sich verändern

Interessant ist deshalb auch ein Vergleich der Jahre 2010 bis 2013: In diesem Zeitraum sind die tariflichen Stundenlöhne mit sieben Prozent gut doppelt so schnell gestiegen wie die effektiven Stundenlöhne aller Beschäftigten. Ab dem kommenden Jahr dürfte der Mindestlohn dazu beitragen, dass sich das Tarifgefüge weiter verändert, weil durch ihn vor allem tariffreie Branchen erfasst werden.

Ungeachtet aller Prognose-Unsicherheiten lässt sich dennoch feststellen, dass dieses Jahr ein recht gutes Jahr für viele Arbeitnehmer wird. Die Tarifabschlüsse liegen zwischen zwei und vier Prozent und weisen damit die Richtung, von der auch Beschäftigte in nicht tarifgebundenen Branchen profitieren dürften. Insgesamt ist der Aufschwung intakt, die gute Lage am Arbeitsmarkt spielt den Arbeitnehmern in die Hände, die Gewerkschaften können dann höhere Abschlüsse durchsetzen.

Arbeitnehmer in Deutschland hatten über viele Jahre Reallohnrückgänge zu verkraften. Ob die guten Tarifabschlüsse nun den Beginn einer Trendumkehr markieren, wird sich erst zeigen müssen. Fachleute rechnen angesichts der stabilen Wirtschaftslage aber auch in den kommenden Jahren mit einer ordentlichen Einkommensentwicklung für die Beschäftigten. Weniger stark steigen hingegen die Löhne ungelernter Arbeiter, auch weil die Langzeitarbeitslosigkeit noch immer sehr hoch ist – das übt auch im Aufschwung Druck auf die unteren Lohngruppen aus.