Berlin/Essen.

Ein Betrieb, ein Tarifvertrag? Das Vorhaben der Großen Koalition, die Praxis, die bis 2010 galt und damals vom Bundesarbeitsgericht gekippt wurde, in einem Gesetz festzuschreiben, stößt auf konzentrierten Widerstand. Kleine und oft konfliktfreudige Spartengewerkschaften wie Marburger Bund, Gewerkschaft der Lokführer (GdL) und Vereinigung Cockpit wollen um ihre künftige Streikfähigkeit und damit um ihr Überleben kämpfen. Die Ärzteorganisation Marburger Bund kündigt gemeinsam mit dem Beamtenbund Klage beim Bundesverfassungsgericht an, sollte die Koalition ihre Pläne von der gesetzlich fixierten Tarifeinheit umsetzen.

Demo vor dem Kanzleramt

Nach dem Willen der schwarz-roten Bundesregierung soll in einem Unternehmen künftig nur noch ein Tarifvertrag zur Anwendung kommen, der dann für alle Berufsgruppen gilt — in der Realität wohl der der größten Gewerkschaft, fürchten die kleinen. Sie sprechen von einem „gesetzlich verordneten Tarifknast“ und halten das Vorhaben für Verfassungsbruch: Der Artikel 9 des Grundgesetzes garantiere die Vereinigungsfreiheit für alle Berufe. „Es ist zu erwarten, dass ein entsprechendes Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben würde“, sagen Beamtenbund-Vize Willi Russ und Armin Ehl vom Marburger Bund voraus. Am „Tag der Arbeit“, dem 1. Mai, wollen sie das lautstark in einer Demonstration vor dem Bundeskanzleramt klarstellen.

Die gesetzliche Festlegung der Tarifeinheit ist Teil des Koalitionsvertrags. Sie hat nach dem jüngsten und heftig umstrittenen Piloten-Streik bei der Lufthansa noch einmal Aufwind bekommen. Berlin will das Gesetzesvorhaben schnell durchsetzen – zumal Union und SPD in Länderparlamenten, so in Bayern, entsprechende Anträge beraten. Eine Arbeitsgruppe der Ministerien stellt in der Bundeshauptstadt derzeit eine erste Machbarkeitsstudie zusammen. Sie soll abklopfen, wie ein solches Gesetz rechtlich wasserdicht werden könnte. Heute treffen die Fraktionsvorstände der Großen Koalition in Königswinter mit Arbeitgebern und dem künftigen DGB-Vorsitzenden Hoffmann zusammen, um Details vorab zu beraten.

Ob der designierte Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes dabei klar Position bezieht? Gerade das ist offen. Denn die großen Gewerkschaften sind in der Frage gespalten. Die IG Bergbau, Chemie, Energie will die „gewerkschaftliche Durchsetzungs- und Gestaltungsmöglichkeit“ steigern – und steht deshalb auf der Seite der Koalition. Verdi denkt anders. „Das Streikrecht ist ein Grundrecht. Deshalb lehnen wir jeden gesetzlichen Eingriff ab. Wir stehen nicht dafür zur Verfügung, Tarifverträge von Cockpit zu unterbieten“, sagt ihr Chef Frank Bsirske: „Dann würden wir uns ja zu Handlangern der Arbeitgeber machen. Es wäre absurd, wenn Verdi für Piloten Tarifverträge machen soll, die nahezu komplett in einer anderen Gewerkschaft organisiert sind.“

Auch bei der Nr. 1 der großen Gewerkschaften, der IG Metall, ist Ablehnung spürbar: „Es gibt im Moment noch viele Unwägbarkeiten für eine gesetzliche Regelung. Es darf nicht sein, dass die Politik in das Arbeitskampfrecht eingreift oder die Verfassung ändert“, sagt Tarifexperte Dirk Schumann.