Berlin. .

Den größten Teil seiner Kredite nimmt NRW nach Darstellung von Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) zu einem Zweck auf: Damit andere Länder keine Schulden machen. Es ist eine Folge des Finanzausgleichs – nicht die einzige Ungereimtheit. NRW gab 2013 so viel Geld ab, bis es selbst zum Nehmerland wurde. Wie ein Arbeitnehmer, der nach Zahlung seiner Steuern „Stütze“ braucht.

In Zahlen: NRW führte 2,4 Milliarden Euro an Umsatzsteuer an andere Länder ab und bekam 700 Millionen aus dem Finanzausgleich. Ergebnis: Nun steht es als Nehmerland da. Walter-Borjans wirbt dafür, im Zuge einer Reform alle Fördertöpfe, jeden Transfer miteinander zu verrechnen.

Wer schlechter gestellt wird, hat’sschwer keine Schulden zu machen

Seine Stunde kommt 2019, wenn der Finanzausgleich und der Solidarpakt auslaufen. Die Verhandlungen über eine Neuregelung werden hart, zumal ab 2020 auch eine „Schuldenbremse“ gilt. Und für Michael Thöne vom finanzwissenschaftlichen Institut der Universität Köln ist es „offensichtlich, dass nicht alle Länder es schaffen werden“, auf neue Schulden zu verzichten. Diese Drucksituation schränkt den Spielraum für einen Kompromiss beim Finanzausgleich ein: Wer schlechter gestellt wird, hat mehr Mühe, die Schuldenbremse einzuhalten.

Streitanfällig war die Solidarität unter Ländern immer, lange vor der Schuldenbremse. 1952, 1986, 1992 und 1999 hat das Verfassungsgericht Urteile zum Länderfinanzausgleich gefällt. Seit März liegt bereits die nächste Klage vor – von Hessen und Bayern.

Klagen stimmt auch Walter-Borjans an. Um seinen Ärger zu verstehen, muss man den Weg der Steuern im Jahr 2013 verfolgen. Wenn sie erhoben werden, kommt NRW auf Einnahmen von 3426 Euro pro Kopf. Platz fünf im Länderranking ist indes nur der Ausgangspunkt. Im nächsten Schritt wird die Umsatzsteuer unter den Ländern aufgeteilt. NRW kommt auf 3291 Euro pro Kopf. Platz sechs. Danach wird die Einwohnerzahl der Stadtstaaten rechnerisch um 35 Prozent erhöht; ein Kniff, um Hamburg, Bremen und Berlin besserzustellen. NRW rutscht auf den achten Platz. Die so genannte Einwohnerwertung ist „seit Jahren ein rotes Tuch“, so Professor Henning Tappe vom Institut für Finanz- und Steuerrecht der Uni Osnabrück.

Nach dem Finanzausgleich der Länder findet sich NRW auf Platz neun wieder. Danach werden die Sonderhilfen des Bundes verteilt, sodass die ostdeutschen Länder im Vergleich besser abschneiden. Und NRW? Nur noch Platz 16. Im Land verbleiben 3350 Euro pro Kopf. Rechnet man alle Transfers ein – Umsatzsteuer, Finanzausgleich, Bundeshilfen –, hat NRW am Ende 1,3 Milliarden Euro weniger. Zum Vergleich: Für 2015 plant der Minister 1,9 Milliarden Schulden.

Für eine Reform schlägt er drei Punkte vor. Die Einbeziehung der Verteilung der Umsatzsteuer ist seine erste Forderung. Mit 7,3 Milliarden Euro ist das Volumen fast so hoch wie der Länderfinanzausgleich selbst. NRW trägt mit 2,4 Milliarden ein Drittel. Zweitens: Ballungsräume gibt es auch in NRW. Ihre Lasten sollen – wie bei Stadtstaaten – berücksichtigt werden. Drittens: NRW muss im Ruhrgebiet einen Strukturwandel bewältigen und will wie die Ost-Länder Sonderbedarfe anmelden.

Alle Ost-Länder und Berlin peilen ausgeglichene Haushalte an. Sie können ihr Ziel nur erreichen, weil andere solidarisch sind. Im Landtag rechnete Walter-Borjans vor: Berlin kassiert 5,6 Milliarden und Sachsen sechs Milliarden Euro, Sachsen-Anhalt 3,3 Milliarden, Thüringen 3,2 Milliarden, Mecklenburg-Vorpommern 2,4 und Brandenburg 2,8 Milliarden.

So kam bei Walter-Borjans der Ärger auf, dass er Schulden macht, damit andere darum herumkommen. Dass NRW, ein Riese, aufgewacht ist und Korrekturen am System anmahnt („mehr als Schönheitsreparaturen“), hat seine Kollegen irritiert. Will er eine Radikalreform? Wo setzt er an?

Dass die Ost-Hilfen 2020 sinken werden, gilt als sicher. Auch an den Bonus der Stadtstaaten könnte man rangehen. Die 35 Prozent seien „nicht in Stein gemeißelt“, so Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos). Als Hausmeister der Hauptstadt sieht er die Bundesregierung in der Pflicht: Der Bund solle Berlin besser bezahlen.