Essen. Die USA und die EU wollen gemeinsam den weltgrößten Freihandelsraum schaffen. Während sich die Verhandlungspartner Wirtschaftswachstum versprechen, bleiben deutsche Verbraucherorganisationen sehr skeptisch. Was bringt das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP und wo sind die Fallstricke?

Die deutsche Lebensmittelindustrie ist auf den internationalen Handel angewiesen. Die USA sind dabei mit einem Absatzvolumen von 1,4 Milliarden Euro der zweitwichtigste Exportmarkt außerhalb der EU, erklärt Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE).

Der Verein setzt sich für einen verbesserten Marktzugang für deutsche Lebensmittel in den USA ein und unterstützt die Kooperation zwischen den beiden Partnern und auch die Verhandlungen über das transatlantische Freihandeslabkommen TTIP: „Eine Intensivierung der transatlantischen Handelsbeziehungen setzt einen Abbau der Handelshemmnisse voraus. Aus Sicht der BVE hat das oberste Priorität“. Was allerdings nicht ganz einfach ist.

Alkoholische Getränke, Kaffee, Süßwaren und Dauerbackwaren stellen die wichtigsten Exportgüter. Und "durch den Import von Erzeugnissen der Land- und Ernährungswirtschaft ist die deutsche Ernährungsindustrie eng mit den USA verbunden“, erläutert Minhoff. Doch gerade im Lebensmittelbereich gibt es Hürden für dieses Abkommen, denn „abweichende Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherstandards sind nicht verhandelbar“, so der BVE-Geschäftsführer.

Standards werden entweder angeglichen oder anerkannt

Die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen finden bisher hinter verschlossenen Türen statt. "Damit Verhandlungen über den Handel erfolgreich verlaufen, bedarf es einer gewissen Vertraulichkeit – sonst würde man sich von den Mitspielern in die Karten schauen lassen", so ist die Erklärung der EU. Es steht allerdings fest, dass das TTIP nicht nur den Warenaustausch erleichtern würde. Auch für Gesetze könnte es Konsequenzen haben: „Da die Standards in Europa höher sind als in den USA, könnte es nach dem Abkommen dazu kommen, dass sie entweder angeglichen oder gegenseitig anerkannt werden müssen“, sagt Dr. Kathrin Birkel, Freihandelsexpertin von Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND).

Mit zahlreichen Protestaktionen setzte der BUND daher ein klares Zeichen gegen das Freihandelsabkommen mit den USA.

Verbraucherschützer warnen vor "schädlichen Stoffen aus den USA" 

Denn „der Verbraucher wird davon nichts haben“, behauptet Birkel vom BUND. Mit dem TTIP "werden unter anderem die Türen für schädliche Stoffe aus den USA geöffnet". Das bestätigt auch der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), der sich ebenso gegen das TTIP einsetzt. „In der EU gilt das Vorsorgeprinzip: Unternehmen müssen also nachweisen, dass ihre Produkte unschädlich sind. In den USA ist es genau umgekehrt: Ein Produkt stellt solange keine Gefahr dar, bis das Gegenteil nachgewiesen ist“, sagt BÖLW- Pressesprecherin Joyce Moewius.

Weitere Zweifel weckt bei der BUND-Expertin die Erweiterung der Chemikalienrichtlinie in Kosmetikprodukten. Die amerikanische Chemikaliengesetzgebung TSCA sei viel nachlässiger als die EU- Chemikalienverordnung REACH. „Während die EU- Kosmetikrichtlinie 1 300 Chemikalien verbietet, untersagt die US-Gesetzgebung nur die Verwendung von elf Stoffen“, so Birkel. Strengere Grenzwerte für Schwermetalle in Kinderspielzeug beispielsweise wären dann kaum noch durchsetzbar.

Auch der Stoff Bisphenol A (BPA) stellt in Augen der BUND-Expertin eine große Gefahr dar: Bisher ist er in der EU verboten, in den USA dagegen Gang und Gäbe. BPA werde bei der Herstellung von Kunststoffen und damit in zahlreichen Produkten verwendet. „Verbraucher kommen beispielsweise über Trinkbecher, Aufbewahrungsboxen und Babyfläschchen aus Polycarbonat damit in Kontakt“, so Dr. Kathrin Birkel.

Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) könnte dieser Stoff auch in kleinen Mengen Störungen in der Entwicklung des Gehirns auswirken, das Gedächtnis und das Verhalten verändern oder Diabetes und Fettleibigkeit hervorrufen. „Auch dieser Stoff könnte mit dem Freihandelsabkommen auf den europäischen Markt kommen“, vermutet Birkel.

Turbo-Kühe und gentechnisch veränderter Lachs 

Und die Verbaucher könnten sich schwerer gegen solche Entwicklungen wehren als bisher: Das Patent- und Haftungsrecht unterscheidet sich in beiden Handelszonen an vielen Stellen: In den USA dürfen Rinder mit hormonellen Masthilfen gefüttert werden. „In der EU ist der Einsatz von Hormonen wie Rinder-Somatotropinen (rBST), die Gabe von Antibiotika und die Verabreichung des Futtermittelzusatzes Ractopamin zur Wachstumsförderung verboten“, sagt Birkel.

Geflügelfleisch wird im Chlor gebadet, für gentechnisch veränderte Pflanzen gibt es weder ein durchgängiges Zulassungsverfahren noch eine Kennzeichnungspflicht. Gentechnisch veränderter Lachs steht vor der Zulassung. Zudem mangelt es an Transparenz über die zahlreichen Importvorschriften in den einzelnen US-Bundesstaaten. Über 2 700 bundesstaatliche und kommunale US-Behörden stellen unterschiedliche Anforderungen an die Zertifizierung und Eigenschaften von Lebensmitteln. Diese werden dann noch durch staatliche Vorgaben ergänzt.

Alles das drohe dann auch für Europa, behauptet Birkel. Das TTIP öffne die Türen für Agrar-Exportschlachten zu Dumpingpreisen. „Europäische Bauern gerieten unter noch mehr Wettbewerbsdruck. US-Exporteure würden verstärkt mit Soja und Milchprodukten auf den EU-Markt drängen und die Bemühungen, Soja durch einheimische Futterpflanzen zu ersetzen, unterlaufen“, schreibt der BUND auf der Webseite.

Kritiker befürchten niedrige Löhne und Arbeitslosigkeit 

Der Öffentlichkeit werde das Abkommen oft als Motor für die Schaffung von Arbeitsplätzen präsentiert. Dabei hätten bereits bestehende Freihandelsabkommen wie der NAFTA-Vertrag zwischen den USA, Kanada und Mexiko eher das Gegenteil bewiesen: „Bei diesem Abkommen gab es vorher Studien, in denen ein deutlicher Zuwachs bei Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum versprochen wurden", so Dr. Birkel. Die Prognosen hätten sich allerdings nicht erfüllt.

In der EU könnten durch den liberalisierten Handel der Druck auf Löhne wachsen und die Ausweitung prekärer Beschäftigung die Folgen sein. Dass das TTIP die Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne verursachen könnte, habe ein anderes Freihandelsabkommen bereits bewiesen: „Nach dem Abkommen KORUS zwischen der Südkorea und den USA sind etwa 40 000 Arbeitsplätze innerhalb eines Jahres verloren gegangen, vor allem in den USA“, sagt Dr. Kathrin Birkel.

Privilegierte Klagerechte für Großkonzerne

Mangelnde Transparenz beklagen die Kritiker auch bei den rechtlichen Grundlagen des Abkommens. Wichtigster Grund: Die Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit ISDS, die ein Bestandteil der TTIP- Verhandlungen sei. Ursprünglich wurde das Instrument eingeführt, wenn in Ländern kein Rechtssystem mit unabhängigen Gerichten existierte. „Der Investitionsschutz sollte somit auch in jenen Ländern ausländische Investitionen ermöglichen, die bisher kein Vertrauen bei Unternehmen genossen hatten“, definiert Greenpeace das ISDS. „Im Laufe der Zeit wurde dieses Abkommen allerdings zu einem Klagesystem mit spezialisierten Anwälten entwickelt“, sagt Uwe Wötzel, Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi.

Ihre wichtigste Waffe sind Sonderklagerechte für große ausländische Unternehmen, die bei jedem Gesetzesvorschlag Staaten auf Entschädigung verklagen können, wenn sie ihre erwarteten Gewinne bedroht sehen. „Da es bei solchen Klagen um mindestens zweistellige Millionensummen geht, führen sie häufig dazu, dass anspruchsvolle neue Gesetze zum Umwelt- und Gesundheitsschutz abgeschwächt oder gar nicht erst erlassen werden“, sagt BUND- Expertin Birkel.

Mangelnde Transparenz beim ISDS-Verfahren

Auch Verdi akzeptiert diese Schiedsstellen nicht: Denn die privilegierten Klagerechte für Großkonzerne unterliefen grundlegende Prinzipien eines Rechtsstaats. „Kleinere und mittlere Unternehmen haben dagegen keine Chance, denn es fehlt ihnen oft das nötige Kleingeld“, so Wötzel. Die Honorare solcher Anwälte sollen laut Wötzel im siebenstelligen Bereich liegen.

Zudem laufen die ISDS-Verfahren meist recht schnell und immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Deutschland wurde bereits mit dem ISDS-Verfahren verklagt: Das schwedische Energieunternehmen Vattenfall klagte im Rahmen des Energiecharta Vertrags die Bundesrepublik auf 3,5 Milliarden Euro Schadensersatz wegen der Entscheidung aus der Atomkraft auszusteigen. „Falls der Staat von einer solchen Schiedsstelle für schuldig erklärt wird, wird das Geld aus der Steuerkasse bezahlt“, sagt Uwe Wötzel.

EU weist Kritik am Freihandelsabkommen zurück 

Die EU weist die Kritk am Freihandelsabkommen zurück: "Ein bereits bestehendes Gesetz kann nicht durch ein Handelsabkommen ausgehöhlt werden. So kann beispielsweise ein bestehendes Verbot von Fracking oder von Chlorhühnerfleisch nicht in Frage gestellt werden." Die IHK Essen sieht ebenso optimistisch in die Zukunft: "Das Abkommen wird nur dann unterschrieben, wenn es für beide Seiten überwiegend Vorteile geben werden."

Generell sollen laut EU alle etwas vom TTIP haben: Ein durchschnittlicher Haushalt in der EU etwa spare jährlich hunderte Euro, weil Waren und Dienstleistungen billiger werden. Die Preise sollen sinken, weil Einfuhrzölle auf Waren aus den USA ebenso abgeschafft werden. "Wir werden aber auch davon profitieren, dass sich die EU und die USA darauf einigen, in vielen Bereichen die technischen Normen der anderen Seite anzuerkennen", schreibt die EU auf der eigene Webseite. Durch den Bürokratieabbau sollen die Kosten und folglich auch die Preise fallen.