Zürich. Schweizer Banken sind unter Beobachtung. Steuersünder suchen sich deshalb offenbar Auswege. Sie investieren in Kunst und bringen sie ins Zollfreilager. Was die Zoll-Stätten der Schweiz derzeit verdächtig macht, ist die rasant zunehmende Nachfrage nach Platz.
Zwischen den Bergdörfern Erstfeld und Amsteg, unterhalb der Großen Windgälle, liegt der ehemalige Schweizer Regierungsbunker. Das getarnte „Reduit“ sollte die eidgenössische Führung aufnehmen, falls der Feind angreift. Feinde gab es hier oft. Selbst Napoleon ist hier vorbeigezogen. Doch seit 2006 dient der in die Alpen getriebene Stollen als Behältnis für andere Dinge. Er birgt wohl einen kleinen Teil der großen Vermögen dieser Welt.
"Kunst, Wein, Diamanten"
Wo sollten die Begüterten denn auch sonst ihre stillen Reserven deponieren? Immer weniger tun es in den Banktresoren der Zürcher Bahnhofstraße. Die gelten als unsicher, seit die Gesetze schärfer geworden sind und deutsche Landesregierungen Hehlern geklaute Daten-CDs abkaufen. Jenseits der deutschen Grenze wiederum warten Zollbeamte mit Geld-Spürhunden auf reiche Beute.
„Kunst, Wein, Diamanten und Gold“ – mit dem Niedergang des Bankgeheimnisses legten immer mehr Leute ihr Geld in solchen Wertsachen an und deponierten sie in den Zollfreilagern der Schweiz, hat der Zürcher „Tagesanzeiger“ jetzt recherchiert. Das sind 238 Orte, mal Bergstollen, mal Büro-Keller, mal Hallen in grauen Gewerbegebieten. Gute Orte für Platin und seltene Erden, für wertvolle Dalis und Warhols und manchmal für Geldkoffer.
Die Lagerung ist unverzollt und unbesteuert – und legal wie in jedem anderen Land Europas. Auch Deutschland hat solche Rückzugsräume für teure Dinge. Zolllager heißen sie hier. Sie dienen der vorübergehenden Unterbringung, wenn zum Beispiel jemand ein Gemälde in London gekauft hat und in Russland verkaufen will und noch keinen Käufer kennt. Um den zweimaligen Einfuhrzoll zu sparen, darf er die Ware bis zum endgültigen Veräußern in den Zolllagern stapeln. Sozusagen unter Staatsaufsicht, auf exterritorialem Gebiet. Rechtlich gilt das Meisterwerk so lange als nicht eingeführt. Die Einrichtung darf wohl als eine Art Schließfach gesehen werden.
Was die Zoll-Stätten der Schweiz derzeit aber verdächtig macht, ist die rasant zunehmende Nachfrage nach Platz. „Sie ist merklich gestiegen“, hat Dolf Wipfli von Swiss Datasafe gesagt, der auch der Bunker in Amsteg gehört. Kollegen von ihm sprechen von 20 bis 30 Prozent mehr Lagerraum, den sie bräuchten. Die Nachfrage treibt dann auch den Preis: Wer zehn Quadratmeter mietet, zahlt heute bis zu 22.000 Franken jährlich.
Zwar versichern die Betreiber der Zollfreilager, der Staat habe jederzeit den Überblick über die Bestände. Auch werde aufgepasst, dass keine Geldwäscher ihre unsauberen Geschäfte betrieben. „Die Lager sind keine Verstecke“, beteuert Marco Gredig, der Präsident des Freilager-Verbandes.
Doch ausländische Finanzämter haben hier genau so wenig legalen Zugriff wie auf die Bankkonten in der Bahnhofstraße in Zürich. Zudem ist die Geschichte auch schon bisher nicht frei von Skandalen.
2012 eröffnete die Schweizer Justiz 175 Verfahren vor allem gegen Kunsthändler wegen mutmaßlicher Steuerdelikte. Erst im April dieses Jahres durchsuchten Fahnder die Räume des Grand Hotel Dolder am Zürichsee. Über 100 Werke namhafter Künstler – Wert: 75 Millionen Franken – sollte sein Inhaber aus einem Freilager geholt haben, ohne die dabei fällige Importabgabe zu zahlen. Und schon Mitte der 90er-Jahre geriet das 140.000 Quadratmeter große Zollfreilager in Genf in die Schlagzeilen, das mit Safes und Garagen für Luxusschlitten als besonders gut ausstaffiert gilt. Damals fand man hier rund 2000 illegale Stücke aus Raubgrabungen in Ägypten.
Violinenspiel im Bunker
Der amerikanische Forscher Jonathan Petropoulos äußerte vor einigen Jahren den Verdacht, dass große Teile beschlagnahmten jüdischen Eigentums aus der Nazi-Zeit nach dem Krieg in die Schweiz gebracht worden seien: „Die Zollfreilager sind immer noch sichere Häfen für Raubgüter.“
Auch Millionen-teure Stradivari-Geigen befinden sich in den Beständen. Sie müssen regelmäßig bespielt werden, andernfalls lässt ihre Qualität nach. Der „Tagesanzeiger“ berichtet, also komme einmal im Monat ein Violinist in den Bunker. Er setze sich zwischen die Kisten „und füllt den dumpfen Raum mit Geigenklängen“.