Washington.. Es ist ein spektakuläres Drei-Milliarden-Dollar-Nein: Die Gründer der US-Firma Snapchat lehnen eine Kauf-Offerte des Branchen-Riesen Facebook über drei Milliarden Dollar ab. Der auf die mobile Internet-Kommunikation getrimmte Botendienst ist das Gegenteil von Facebook. Und darum rasend beliebt.
Zwei talentierte Burschen aus der Internet-Szene, beide Mitte zwanzig, eliteuniversitär ausgebildet, brav und strebsam, lehnen eine Kauf-Offerte des Branchen-Riesen Facebook über drei Milliarden Dollar ab. Sie wollen auf noch bessere Angebote warten und ihr kleines Geschäft auf eigene Faust weiter betreiben. Was sich wie ein überkandidelter Stoff für einen neuen Hollywood-Film à la „The Social Network“ anhört, hat sich gerade tatsächlich zugetragen.
Nicht im Silicon Valley, der südlich von San Francisco ausgehobenen Goldgrube all jener, die mit Bits und Bytes steinreich werden oder geworden sind, sondern am Strand von Venice Beach in Los Angeles. Da, wo eingeölte Bodybuilder, Kettensägen-Jongleure und andere Traumtänzer jeden Tag die Sonne putzen, haben Evan Spiegel (23) und Bobby Murphy (25) in einem Holzhaus am Meer vor zwei Jahren ihr Quartier für „Snapchat“ aufgeschlagen. Firmen-Logo: ein kleines, weißes Gespenst, das der Welt die rote Zunge herausstreckt.
Digitale Zaubertinte löscht bei Snapchat Bild und Wort
Der auf die mobile Internet-Kommunikation getrimmte Botendienst ist so ziemlich das Gegenteil von Facebook. Und gerade darum inzwischen rasend beliebt. 350 Millionen Text-Nachrichten und Bilder hat das Klein-Unternehmen mit knapp 50 Mitarbeitern nach eigenen Angaben zuletzt zwischen Absendern und Empfängern weitergereicht. Pro Tag wohlgemerkt. 75 Prozent mehr als vor drei Monaten. Zehn Prozent aller Handy-Besitzer in Amerika nutzen nach Angaben von Branchendiensten inzwischen Snapchat.
Während der Szene-Gigant jede Fingerübung seiner Kunden für die Ewigkeit aufbewahrt und so Datenberge auftürmt, die nicht jedem behagen wollen, lösen sich Snapchat-Beiträge zirka 15 Sekunden nach Betrachten in Wohlgefallen auf. Digitale Zaubertinte löscht Bild und Wort. Negative Spätfolgen, etwa bei wüsten Beschimpfungen oder textilfreien Schnappschüssen im alkoholisierten Zustand – nahezu ausgeschlossen. Nur für den Geheimdienst NSA hat das Jung-Unternehmen hie und da wie andere Unternehmen eine Ausnahme gemacht; gezwungenermaßen.
Die Jungen finden Facebook nicht mehr sexy
Die Geschäftsidee von Spiegel und Murphy besitzt vor allem in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen in den USA hohe Anziehungskraft. Genau in diesem Kunden-Segment, so hat das Meinungsforschungsinstitut Pew herausgefunden, kühlt die Liebe der Nutzer zu Mark Zuckerberg und seinem Unternehmen schleichend aber konstant ab. Die Jungen heutzutage finden es nicht mehr sexy, von „Freunden“ wie Mama und Papa auf der gleichen Plattform digital angestupst zu werden. 40 Prozent der jüngeren Nutzer wollen sich laut Umfragen rarer machen bei „FB“, das ewige Daumen-hoch-Spiel ermüdet sie.
Zuckerbergs Plan, die ungestüm gestarteten Jung-Unternehmer südlich von Santa Monica zu besuchen und ihnen wie weiland Marlon Brando in „Der Pate“ ein Angebot zu unterbreiten, dass sie nicht ablehnen können, lag darum nahe. Eine erste Offerte vor einem Jahr (über eine Milliarde Dollar) stieß ins Leere.
Facebook legte einen eigenen App-Konkurrenten für Snapchat auf – Poke. Das Projekt floppte. Zuckerberg erhöhte das Angebot. Wieder nix. Dass Spiegel und Murphy auch bei drei Milliarden Nein sagten, zumal für ein Unternehmen, das bisher nach Informationen von Kapitalgebern nur eine goldene Wette auf die Zukunft darstellt, hat die an Kaufpreise mit sehr vielen Nullen am Ende gewöhnte Szene aufgeschreckt.
Wackelt der Thron von Facebook?
Wackelt der auf einen Börsenwert von 120 Milliarden Dollar geschätzte Thron-Inhaber, wenn immer mehr Kronprinzen in spe auf Selbstständigkeit pochen? Oder ist die Geldgier der frisch von Stanford oder anderen Top-Universitäten stammende Ideen-Brüter noch obszöner als man gemeinhin dachte? Die wenigen Interviews, die Spiegel & Kompagnon bisher in der US-Wirtschaftspresse gegeben haben, erwecken einen anderen Eindruck. Danach will sich Snapchat auf Dauer als Gegenentwurf zu Facebook etablieren.
„Es ist inzwischen deutlich geworden, wie ätzend soziale Medien sind“, sagt Spiegel, „dagegen ist es wertvoll, Momentaufnahmen zu teilen, die nicht für immer weiterleben“. Sich von Zuckerbergs notorisch datenhungrigem Imperium schlucken zu lassen, passt den Snapchattern aus Prinzip nicht. Dazu kommt, dass der chinesische Internethandelsriese Tencent bei dem Dienst „WeChat“ Modelle entwickelt, die Snapchat als Plattform für Werbetreibende tauglich machen würde – eine potenzielle Mega-Einnahmequelle. Laut „Wall Street Journal“ soll die Firma aus dem Reich der Mitte Snapchat bereits auf einen Wert von vier Milliarden Dollar taxiert haben. Das kleine Gespenst mit der roten Zunge lässt sich wohl so schnell nicht verjagen.