Brüssel. .

Der Brüsseler Energie-Kommissar Günther Oettinger drückt aufs Tempo beim Ausbau der europäischen Netze. Rund 250 Projekte für grenzüberschreitende Strom- oder Gasverbindungen bekommen ein Qualitätssiegel. Sie haben damit Anspruch auf beschleunigte Genehmigungsverfahren und möglicherweise finanzielle Unterstützung aus EU-Töpfen. Das solle helfen, den Rückstand der Energie-Infrastruktur gegenüber Verkehrs- und Datennetzen aufzuholen, sagte Oettinger.

Auf dem Energiesektor steckt nämlich Europa nach Darstellung des früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten „noch in der alten Welt“. Ausbau und Erhalt des Leitungssystems seien bislang eine rein nationale, wenn nicht regionale Angelegenheit. Die Vorrangliste solle nun Startschuss sein für „eine paneuropäische Infrastruktur“. Sie versammelt „Projekte gemeinsamen Interesses“ (abgekürzt nach der englischen Bezeichnung PCI) – Stromtrassen, Gasleitungen, Ölpipelines, Speicher.

Um auf die Liste zu kommen, müssen jeweils mindestens zwei EU-Staaten beteiligt oder indirekt Nutznießer sein. Für Deutschland sind 27 Vorhaben als europäische Prioritäten ausgeflaggt, darunter eine Stromtrasse vom Niederrhein ins niederländische Doetinchem und die Verstärkung der Gasleitung Wallbach/Bocholtz – Eynatten (Belgien). Die meisten der deutschen Projekte dienen aber dem Ausbau von Nord-Süd-Verbindungen, betreffen also im Norden Leitungen nach Skandinavien, im Süden in die Schweiz und nach Österreich.

Während die durchschnittliche Dauer der Genehmigungsverfahren in der EU zwischen zehn und zwölf Jahren beträgt, haben die Planer eines europäischen PCI Anspruch auf Abwicklung der Bürokratie in höchstens dreieinhalb Jahren und durch eine einzige Anlaufstelle. Oettinger zeigte sich zuversichtlich, dass diese Vorgaben auch praktisch eingehalten werden. Alle Mitgliedstaaten hätten dem zugestimmt. „Das ist von allen Beteiligten gewollt, die Behörden sind in der Pflicht.“

Ob und in welcher Form ein Projekt EU-Geld bekommt, hängt von den jeweiligen Umständen ab, vor allem von der Frage, ob es sich ohne Stütze rechnet oder nicht. Eine Stromverbindung zwischen dicht besiedelten Industriegebieten brauche keine EU-Förderung, erläuterte Oettinger. „Eine Pipeline nach Malta kann man hingegen nicht am Markt finanzieren.“ Als Unterstützung kommen prinzipiell Zuschüsse, günstige Kredite, Bürgschaften oder spezielle Anleihen („project bonds“) in Frage.

Zusätzliche Kosten entstehen nach den Vorstellungen der Brüsseler EU-Zentrale dem Verbraucher nicht. Schon jetzt werde der Bürger ja durch Netz-Entgelte für die Finanzierung der Netze in Anspruch genommen. Oettinger: „Wir behaupten: Mit unseren Projekten wird die Sache billiger.“

Das Europa-Parlament und der Ministerrat als Vertretung der Regierungen haben jetzt zwei Monate Zeit, sich mit der Liste zu befassen. Wenn sie keinen Widerspruch einlegen, ist sie verabschiedet.