Washington/Frankfurt. Der Schuldenstreit in den USA wirkt sich weltweit auf die Aktienkurse aus. Volkswirte und Börsianer sind einerseits besorgt und warten auf eine langfristige Lösung. Andererseits haben sich viele an das Hin und Her gewöhnt und gehen davon aus, dass sich Demokraten und Republikaner in letzter Minute dann doch kurzfristig einig werden.

Der Haushaltsstreit in den USA macht die Investoren nervös. Dabei kennen die Börsen das Spiel um das Budget zu Genüge. Kaum einer kann noch aufzählen, wie oft die weltgrößte Volkswirtschaft in den vergangenen Jahren - vermeintlich - am Rande der Zahlungsunfähigkeit stand. Es zweifelt niemand daran, dass die USA grundsätzlich ihre Schulden bedienen könnten - im Zweifel über Steuererhöhungen. Doch genau das wollen die Republikaner auf keinen Fall.

Sie sind zu einer Erhöhung der Schuldengrenze, um die sich der Haushaltsstreit dreht, nur im Tausch gegen Ausgabenkürzungen bereit. Dafür kommen fast nur noch Sozialprogramme infrage, die die Demokraten nicht anrühren wollen. Denn alle anderen Ausgabenposten sind schon massiv zusammengestrichen worden. Bei all dem schielen beide Parteien schon auf die Wahlen zum Kongress im November 2014.

Regierungsangestellte im Zwangsurlaub

In Washington werden derzeit zwei politische Kämpfe ausgetragen. In einem ersten Schritt muss bis zum 1. Oktober, dem Ende des Haushaltsjahres 2013, mit einem provisorischen Budget dafür gesorgt werden, dass dem Bund nicht das Geld ausgeht. Anderenfalls müssen Regierungsangestellte in Zwangsurlaub geschickt und Ministerien und Ämter geschlossen werden.

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Entscheidender aber ist der zweite Kampf, bei dem es um die seit Jahren umstrittene Schuldenobergrenze von derzeit 16,7 Billionen Dollar geht. Um beispielsweise die Ausgaben für die Sozial- und Krankenversicherungsprogramme des Bundes zu finanzieren, müssten sich Kongress und Regierung auf eine Anhebung dieser Grenze einigen. Sollten sich die Demokraten von Präsident Barack Obama und die Republikaner, die im Repräsentantenhaus die Mehrheit haben, darauf nicht verständigen, droht den USA schätzungsweise Mitte Oktober faktisch die Zahlungsunfähigkeit.

S&P hat wegen des ewigen Streits die USA schon abgemahnt

Weltweit bröckeln die Aktienkurse wegen des Streits. Dabei sind sich die Investoren sicher: Im letzten Moment wird man sich noch einigen, im Zweifelsfalle mal wieder auf eine Verschiebung des Streits wie im vergangenen Jahr. "Dass sie den Karren so richtig vor die Wand fahren, kann sich niemand hier vorstellen. Da wird es in letzter Minute sicher wieder eine Einigung geben - wie schon früher", fasst ein Börsianer die Hoffnung aller zusammen.

Nach Einschätzung der US-Ratingagentur Moody's würde den Märkten ein Scheitern der Verhandlungen über die Anhebung der Schuldengrenze mehr schaden als ein Zwangsurlaub der Angestellten der Regierung. Ohnehin rechnet Moody's nur mit kurzfristigen Problemen. Eine Abstufung sei daher nicht zu erwarten. Nicht alle Beobachter teilen diese Gelassenheit: Da sich die Fronten verhärteten, steige die Wahrscheinlichkeit, dass sich Kongress und Regierung nicht rechtzeitig auf eine Anhebung der Schuldengrenze einigten, warnt Ray Dalio, Gründer von Bridgewater Associates, einer der größten Hedgefonds der Welt. 2011 hatte Standard & Poor's die Bestnote für die US-Schuldenmacher kassiert und die USA heruntergestuft. Immerhin hatten sich Regierung und Kongress seinerzeit auf massive Ausgabenkürzungen geeinigt - diese wurden in diesem Jahr umgesetzt.

Einig ist man sich nur darin, dass man uneinig ist

Finanzminister Jack Lew macht aus seiner Nervosität keinen Hehl. "Die Aussicht, das bis zur letzten Minute zu schieben, macht mich nervös", erklärte er vergangene Woche. Lew hat allen Grund dafür, sagt Steve Bell, Analyst beim überparteilichen Thinktank Policy Center, das für die zweite Oktoberhälfte mit einer Zahlungsunfähigkeit der US-Regierung rechnet. Bell ist Republikaner und hat früher für den Haushaltsausschuss des US-Senats gearbeitet. Seit vier Jahrzehnten ist er in Washington. So sehr wie jetzt habe er sich noch nie Sorgen über den Haushaltsstreit gemacht. Und im Vergleich zu 2011 sei er auch skeptischer.

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Auch Volkswirte sind besorgt, und Börsianer sehen in der ständigen Wiederholung des Streits ein Problem. Zuletzt hatten sich die Kontrahenten nach der Wiederwahl von Präsident Barack Obama Ende vergangenen Jahres in letzter Minute auf eine Verschiebung geeinigt. "Langfristige Lösungen sind bislang Fehlanzeige", stellen die NordLB-Analysten fest. "Auch eine Notenbank, die solche Entwicklungen in ihr geldpolitisches Kalkül mit einbezieht, kann politischen Stillstand nicht ewig ausgleichen." Die Fed hatte im September auf eine zuvor signalisierte Drosselung der Anleihekäufe verzichtet. Die Notenbanker begründeten dies auch mit dem Streit um den Haushalt. Denn ein längeres Lahmlegen der öffentlichen Verwaltung sowie das Einfrieren von Zahlungen könnte die Wachstumsaussichten trüben, fürchten viele Volkswirte.

Doch an den Börsen haben sich die Anleger offenbar an das Spiel um den Haushalt gewöhnt. Die Kosten für eine Ausfallversicherung auf US-Staatsanleihen liegen in diesen Tagen deutlich niedriger als im Juli 2011, dem Zeitpunkt der letzten Eskalation des Haushaltsstreits in Washington. Lew fühlt sich mit der Gelassenheit nicht wohl. Das Vertrauen der Investoren sei womöglich "größer als es sein sollte", warnte der Finanzminister der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge.

Alice Rivlin, die unter Präsident Bill Clinton in den 1990er Jahren zeitweise das Haushaltsbüro im Weißen Haus leitete, verbreitet auch keine Zuversicht. "Vor ein paar Jahren noch hätte ich gesagt 'Ach, kommt Leute, das ist doch Quatsch, selbstverständlich werden sie die Schuldenobergrenze anheben.' Aber das kann man so nicht mehr sagen." (rtr)