Zürich.
Josef Ackermann ist für seine Fettnäpfchen, aber auch für schnelle und durchdachte Entscheidungen bekannt geworden. Der einstige Chef der Deutschen Bank gilt als ein Mann, der klare Worte schätzt und sie selbst in schwierigen Situationen findet. Doch sein Rücktritt vom einflussreichen Amt des Verwaltungsratspräsidenten der Zurich-Versicherungsgruppe hat viele in dem Weltkonzern am Züricher See überrascht und verwirrt.
Vier Tage nach dem Selbstmord des Zurich-Finanzchefs Pierre Wauthier erklärte Ackermann gestern: „Ich habe Grund zur Annahme, dass die Familie meint, ich solle meinen Teil der Verantwortung hierfür tragen, ungeachtet dessen, wie unbegründet dies objektiv betrachtet auch sein mag.“ Er wolle „jegliche Rufschädigung zulasten von Zurich“ vermeiden.
„Da macht sich Unruhe breit“
Mehr als nach dieser Erklärung ist in der Schweizer Banken- und Wirtschaftsmetropole wohl kaum jemals über den Abgang eines Top-Managers gerätselt worden. Ackermanns Schritt, stellt die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) fest, werfe „zum jetzigen Zeitpunkt mehr Fragen auf, als dass er Antworten gibt“.
Dem entspricht die Reaktion der Züricher Börse: In den ersten Minuten nach Handelseröffnung verloren die Zurich-Aktien 3,8 Prozent an Wert. Analysten verweisen darauf, dass die Hintergründe sowohl des Freitods von Wauthier als auch des Rücktritts von Ackermann noch völlig im Dunkeln liegen. „Da macht sich Unruhe breit“, sagt ein Aktienhändler.
Zugleich wird auf die Lage des Konzerns verwiesen, der seit Jahren zur Spitzengruppe der globalen Versicherungsbranche zählt. „Das wirtschaftliche Umfeld bleibt angesichts niedriger Zinssätze schwierig und setzt unsere Kapitalerträge unter Druck“, hatte Zurich-Vorstandschef Martin Senn erst vor zwei Wochen bei der Vorlage der Konzernergebnisse für das zweite Halbjahr erklärt.
Naturkatastrophen wie die Tornados in Amerika und auch die Überschwemmungsschäden in Deutschland ließen den Gewinn bei der Zurich-Gruppe von Mai bis Ende Juli um 27 Prozent auf 595 Millionen Euro absacken. In Schweizer Medien hieß es, bei der Zurich seien womöglich zu ambitionierte Ziele gestellt worden. In existenziellen Schwierigkeiten steckt das Unternehmen nicht.
„Trägt Ackermann Mitschuld am Tod des Finanzchefs?“, titelt die Online-Zeitung „20 Minuten“. Dessen Witwe habe den Verwaltungsratspräsidenten beschuldigt, ihren Mann in die Enge getrieben zu haben, berichtet dort der angesehene Schweizer Wirtschaftsjournalist Lukas Hässig. Er beruft sich auf eine Quelle aus dem Umfeld von Ackermann. Danach habe die Witwe sich bei Vorstandschef Senn beklagt, Ackermann „sei sehr fordernd gegenüber dem Top-Management gewesen und habe damit ihren Mann in die Enge getrieben“. Öffentlich hat sich die Frau bisher nicht geäußert.
Nun seien Spekulationen Tür und Tor geöffnet, stellt die NZZ fest. War der 53-jährige französisch-britische Doppelstaatsbürger Wauthier überlastet, stand er tatsächlich unter zu starkem Druck seitens des Verwaltungsrates?
Schwer vorstellbar ist das nach Einschätzung von Personen, die Wauthier kurz vor seinem Tod noch bei einem Straßentheater antrafen. Sie hätten bei ihm „nicht die geringsten Anzeichen für eine ausweglose Situation“ erkennen können, hieß es. „Pierre Wauthier wirkte so wie immer, nämlich ausgeglichen und geduldig.“