Washington. . Wieder ist eine große Verlegerfamilie geschäftsmüde geworden. Jeff Bezos, Besitzer des größten Internet-Einzelhändlers der Welt, hat die legendäre „Washington Post“ für 250 Millionen Dollar gekauft. Für die Belegschaft eine Überraschung.

Wieder ist eine große Verlegerfamilie geschäftsmüde geworden. Jeff Bezos, Besitzer des größten Internet-Einzelhändlers der Welt, hat die legendäre „Washington Post“ für 250 Millionen Dollar gekauft.1974 deckte sie die Watergate-Affäre auf, über die US-Präsident Richard Nixon stolperte.

Für die 2000-köpfige Belegschaft des 1877 gegründeten Hauptstadt-Blattes, das acht stolze Jahrzehnte im Besitz der Familie Graham stand, blieb noch so recht keine Zeit, den Überraschungs-Mediencoup des Jahres zu analysieren. „Niemand wusste was“, sagte ein konsternierter Politik-Redakteur am Telefon, „bevor Don Graham die Truppen zusammenrief und eine Mischung aus Aufbruch und Offenbarungseid ablieferte.“

Der Sohn der legendären Verlegerin Katherine Graham, ohne deren Rückgrat das Duo Carl Bernstein/Bob Woodward in den 70er-Jahren niemals den Watergate-Abhör-Skandal hätte aufdecken können, beschrieb als Chef des börsennotierten Unternehmens ausgiebig das wirtschaftliche Auf-der-Stelle-treten. Im ersten Halbjahr 2013 machte das Haus 50 Millionen Dollar Verlust. Binnen 20 Jahren hat die „Post“ fast die Hälfte der verkauften Auflage verloren, zuletzt wurden noch rund 450 000 Exemplare vertrieben. Einbrechende Anzeigenerlöse und der von Verlegern allzu lange passiv beobachtete Siegeszug von Gratis-Nachrichten im Internet lauten, wie auch in Deutschland, die wichtigsten Stichworte für die Misere.

Schwieriges Zeitungsgeschäft

Grahams Schlüsselsatz über den Verkauf nach sieben Jahren Verlust in Serie – „Das Zeitungsgeschäft brachte zuletzt immer neue Fragen auf, auf die wir keine Antwort haben“ – nahmen hauseigene Starschreiber wie der Autor Ezra Klein zum Anlass, im eigenen Blatt von einem „Schock“ zu schreiben.Kleins Erschrecken dürfte weniger dem Tatbestand geschuldet gewesen sein, dass der Kaufpreis für den auf über 25 Milliarden Dollar Privatvermögen taxierten Asketen Bezos eher Spielgeld darstellt. „Ein Newsroom ist doch kein Warenlager“, so ein Korrespondent in Bezug auf das Amazon-Kerngeschäft.

Bezos hatte zuletzt zwei Duftmarken gesetzt, die aufhorchen ließen: a) in 20 Jahren wird es keine gedruckten Zeitungen mehr geben, b) das Publikum wird für Nachrichten im Internet niemals nennenswert Geld zahlen, weil es durch die Gratis-Kultur „versaut“ ist. Droht der „Post“ also ein radikaler Umbau zum digitalen Vollsortimenter abseits von Journalismus, verbunden mit drastischen Kürzungen bei Mensch und Material? Allem Anschein nach vorerst nicht.

In einer in der Zeitungsgilde mit Anerkennung registrierten Erklärung versuchte der 49-jährige Neubesitzer viele Bedenken zu zerstreuen: Herausgeberin Katherine Weymouth, eine Graham-Enkelin, und Chefredakteur Martin Baron bleiben. Die Linie des Blattes, das immer noch, wenn auch nicht mehr so oft wie früher, an relevanten Enthüllungen beteiligt ist, bleibt auch. „Unsere Verpflichtung gegenüber dem Leser wird weiter im Zentrum dieser Zeitung stehen, wohin immer uns die Wahrheit auch führen mag“, sagte Bezos.

Der Amazon-Chef will im Tagesgeschäft am Potomac keine Schlagzeilen machen. Was auch schwierig würde, will der nebenberuflich noch in Raumfahrt und anderen Extravaganzen (etwa eine Uhr in Texas, die 10 000 Jahre lang verlässlich schlagen soll ...) tätige Unternehmer doch mit Gattin Mackenzie im anderen Washington, dem Bundesstaat an der Westküste bleiben. Von Seattle aus soll Amazon weiter gegen Apple und Google zum global dominierenden Online-Kaufhaus geformt werden.

„Post“-Bedienstete, die dem Geschäft positive Züge abgewinnen wollen, erinnern an das „große Pfund“, mit dem Amazon wuchern könnte. Das seit 1995 mit schmalen Gewinn- und großen Umsatzmargen stetig wachsende Unternehmen habe „sehr früh verstanden, dass exaktes Detail-Wissen über die individuellen Vorlieben der Kunden der Schlüssel zum Erfolg im Internet ist“. Unter Ausnutzung von Kundenrezensionen habe Amazon zuletzt immer präzisere Kaufempfehlungen machen können. So präzise, dass die Firma in den USA vor Google inzwischen die wichtigste Einflugschneise bei der Online-Recherche nach Produkten aller Art sei. In der Redaktion der „Post“ möchte man sehr gerne daran glauben, dass von diesem Wissens- und Imagevorsprung auch eine dümpelnde Traditionszeitung profitieren könnte.