Essen. Der Export der deutschen Molkereien übersteigt inzwischen den Inlandsabsatz an Milch im Einzelhandel. Milchbauern wie Karl-Josef Vermöhlen aus Sonsbeck profitieren kaum davon. 9000 Landwirte mussten allein im vergangenen Jahr aufgeben. Die Konzentration scheint unaufhaltsam.

Die Kuh ist der Star. Nehmen wir ein gewöhnliches Milchmädchen von Karl-Josef Vermöhlen im beschaulichen Sonsbeck am Niederrhein. Sie gibt jeden Tag im Schnitt 25 bis 30 Liter Milch und damit acht bis zehn Liter mehr als ihre Ahnen vor 20 Jahren. Was die Kuh nicht ahnt: Ihre Milch ist ein Exportschlager. Fast jeder zweite Liter aus ihrem Euter wird in einigen Tagen oder Wochen irgendwo auf der Welt als H-Milch, Käse, Joghurt oder Milchpulver verzehrt.

Mittlerweile liefern die deutschen Molkereien mehr Milchprodukte ins Ausland als an hiesige Supermärkte. Von den 2012 erzeugten 30 Millionen Tonnen Milch gingen etwa 14 Millionen in den Export – damit hätte man zweimal den Baldeneysee füllen können. Chinas Gier nach deutscher Milch ist längst sprichwörtlich geworden, seit im Frühjahr deutsche Regale für Babymilchpulver leer blieben, weil die Chinesen den Markt leer gekauft hatten. Hintergrund war ein Skandal im Reich der Mitte um gepanschtes Milchpulver aus dortiger Herstellung, das sechs Babys das Leben kostete und Hunderttausende krank machte. Die aus Panik gewachsene Vorliebe für West-Milch ist geblieben.

Das rettet den deutschen Molkereien derzeit den Umsatz. Während der Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland seit Jahren sinkt, steigen die Ausfuhren deutlich – und dies wegen der hohen Weltmarktnachfrage zu steigenden Preisen. Die Molkereien machen es nicht viel anders als die Autoindustrie: Schwächen im Heimatmarkt werden mit guten Geschäften in Fernost wettgemacht. Doch während der VW-Mitarbeiter jedes Jahr Tausende Euro an Erfolgsprämien erhält, bleibt für den Milchbauern nicht viel übrig vom schönen Exportboom.

„Uns geht es schlechter als vor dem Exportboom“

„Wir kriegen derzeit 32 Cent pro Liter, zwei Cent mehr als vor einem Jahr, zahlen aber fünf Cent mehr für die Produktion. Es geht uns schlechter als vorher“, sagt Landwirt Vermöhlen, der auch Chef des Landesverbands der Milchviehhalter in NRW ist. Er sieht die Milchbauern als Verlierer am Ende der Globalisierungskette.

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Die Milch aus seinem Stall geht womöglich als Käse oder H-Milch nach China. Der Transport per Schiff ist unschlagbar billig. Die Fahrt aus dem Hamburger Hafen nach Schanghai verteuert die Packung H-Milch um lumpige 0,7 Cent. Wird sie als Alpenmilch per Lkw von Bayern nach Hamburg gefahren, kostet das 3,7 Cent.

Das bekommt auch die Kuh im Stall zu spüren, sie gerät gehörig unter Leistungsdruck. Weil die Großmolkereien mit dem Argument, im internationalen Wettbewerb zu stehen, die Preise für die Erzeuger in Grenzen halten, bleibt den Milchbauern nur, immer mehr zu produzieren. „Das ist unsere einzige Möglichkeit, obwohl wir wissen, dass sie uns kaputt macht“, sagt Bauer Vermöhlen. Mehr Milch kriegt er aus seinen Kühen, indem er ihnen immer gehaltvolleres Futter verabreicht – mit viel Eiweiß, etwa aus Soja. „Dieses Futter müssen wir zum Großteil importieren, es wird ebenfalls rund um den Globus verschifft. Das ist doch krank“, sagt Vermöhlen.

Milchindustrie rechnet mit steigenden Preisen

Er hat vor 35 Jahren den Betrieb übernommen, produzierte damals 35 000 Liter im Jahr. Heute geben seine 180 Kühe 1,6 Millionen Liter, „trotzdem ist es schwerer geworden, davon zu leben“.

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Der Verband der Milchindustrie betont dagegen, auch die Erzeuger profitierten von der guten Lage am Weltmarkt. Er erwartet, dass auch das Milchgeld weiter steige. Asien, aber auch Nordafrika hätten einen „hohen Importbedarf“, heißt es in der jüngsten Marktanalyse. Das sei umso wichtiger, da der Milchkonsum daheim schwächelt. Die Alterung der Gesellschaft mache sich bemerkbar. Kinder trinken mehr Milch als Senioren.

Die Milchindustrie ist die größte Lebensmittelbranche des Landes. Sie erzielt mit 29 000 Beschäftigten einen Jahresumsatz von knapp 23 Milliarden Euro. Die Konzentration scheint unaufhaltsam – von den mehreren Tausend Molkereien, die es vor 20 Jahren noch gab, sind 160 übrig geblieben. Auch die Milchbetriebe werden immer weniger und immer größer. Selbst die Kühe werden weniger, produzieren aber trotzdem mehr Milch.

Vier große Einzelhandelskettenbestimmen Markt und Preise

Der Druck wird von oben nach unten weitergegeben: In Deutschland stehen an der Spitze vier Einzelhandelsriesen, die sich 85 Prozent des Marktes teilen. Sie drücken möglichst niedrige Preise bei den Molkereien für ihre Supermärkte und Discounter durch. Von den Molkereien wiederum beherrschen die fünf größten den halben Markt. Sie bestimmen, wie viel Cent pro Liter beim Bauern ankommen. Von denen haben zuletzt in nur einem Jahr 9000 und damit jeder Zehnte aufgegeben. Die verbliebenen sind größer und produktiver, aber nicht glücklicher geworden. Die Globalisierung ist im Kuhstall angekommen.