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Stephan Pütz ist geblieben. Er will nicht gehen. Viele Nachbarn haben ihre Heimat schon verlassen, weil bald die Bagger anrollen sollen im Dörfchen Immerath. Doch Pütz will sich nicht vertreiben lassen von RWE und dem Braunkohletagebau. Er kämpft um sein Zuhause und hat zumindest ein Etappenziel erreicht: Nun beschäftigt sich auch das Bundesverfassungsgericht mit seinem Fall. Die Folgen der Entscheidung lassen sich heute noch nicht abschätzen. Doch es ist durchaus denkbar, dass der Braunkohletagebau im rheinischen Revier nach dem Richterspruch anders geplant oder gar gestoppt werden muss.

Pütz kämpft gemeinsam mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Auch der BUND hat Beschwerde gegen den Tagebau eingelegt. Vor Jahren haben die Umweltschützer Ackerland in Otzenrath im rheinischen Revier gekauft und dort Apfelsorten wie die Rheinische Schafsnase und die Rote Sternrenette angebaut. Aus der Ernte entstand unter anderem der Apfelschnaps „Garzweiler Flächenbrand“. Mittlerweile ist die Obstwiese dem Tagebau gewichen. Anfang 2008 rückten die Bulldozer an. Der BUND wurde enteignet und klagt nun ebenfalls vor dem Verfassungsgericht – stellvertretend für Bürger, die mehr verloren haben als ihre Apfelbäume, wie Dirk Jansen vom BUND-Landesverband NRW betont. „Bergrecht darf nicht länger Grundrecht brechen“, sagt er.

Der BUND beruft sich auf Artikel 14 des Grundgesetzes, das Grundrecht auf Eigentum. Pütz nimmt Bezug auf Artikel 11, das Recht auf Freizügigkeit. Daraus leitet er das Recht ab, seinen Wohnsitz frei zu wählen. Von einem „Recht auf Heimat“ ist die Rede. Das Gesetz erlaubt die Zwangsenteignung von Bürgern, wenn der Abbau von Rohstoffen „dem Wohle der Allgemeinheit“ dient. Tatsächlich verweist der RWE-Konzern in Sachen Garzweiler auf die „Sicherung der Energieversorgung“.

Zu wenig Rechtsschutz

„Es ist fraglich, ob es in diesem Fall angesichts von Alternativen zum Braunkohletagebau wie beispielsweise erneuerbare Energien ein unabweisbares öffentliches Interesse gibt“, argumentiert Dirk Jansen. Außerdem gebe es für die Betroffenen zu wenig Rechtsschutz. „Erst wenn die Bagger fast vor der Haustür stehen, ist eine vollumfängliche Klage möglich.“

Auch in der NRW-Landespolitik könnte die Entscheidung des Gerichts für Wirbel sorgen. „Wir erwarten das Urteil aus Karlsruhe mit großer Spannung. Es ist schließlich das erste Mal, dass sich die höchste richterliche Instanz mit den Braunkohle-Tagebauen im Westen befasst“, sagt Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen. „Angesichts von Überkapazitäten auf dem Strommarkt und eines voranschreitenden Klimawandels erhoffen sich die Betroffenen eine Klärung, ob eines der schärfsten Schwerter, das dem Gesetzgeber in Form der Enteignung zur Verfügung steht, hier seine angemessene Anwendung findet. Es ist zumindest diskussionswürdig, ob damit dem Allgemeinwohl gedient wird.“

Bei der Einweihung eines großen RWE-Braunkohlekraftwerks im vergangenen August in Neurath hatte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) noch die industriepolitische Bedeutung des Milliarden-Projekts hervorgehoben. Schon bei dieser Gelegenheit hatte der BUND kritisiert: „Braunkohle killt das Klima – Hannelore Kraft findet’s prima.“

Monate bis zur Entscheidung

Im Rheinland müssen laut BUND noch 7000 Menschen wegen des Tagebaus wegziehen. In Immerath, wo Pütz wohnt, sollen die Bagger wohl im Jahr 2017 rollen. Bis zu einer Entscheidung des Verfassungsgerichts dürften noch Monate verstreichen. Pütz jedenfalls scheint gute Nerven zu haben – und harrt aus. „Das Besondere ist, dass ein Eigentümer dies auf sich nimmt“, sagt seine Rechtsanwältin Ursula Philipp-Gerlach. „Wem will man denn das zumuten?“