Essen. Die Stahlwerke in Brasilien und in den USA führen zu einem neuen Fehlbetrag von 822 Millionen Euro in der Unternehmenskasse von Thyssen-Krupp. Der Essener Stahl- und Technologiekonzern setzt auch deshalb 3000 Verwaltungsstellen weltweit auf die Streichliste.
Der schwer angeschlagene Thyssen-Krupp-Konzern kommt im normalen Geschäft voran, muss aber bei der Bewältigung der Fehlinvestitionen in die Stahlwerke in Brasilien und den USA einen weiteren herben Rückschlag hinnehmen.
Die Wirtschaftsprüfer des Konzerns haben im Zuge der Verhandlungen zum Verkauf der Stahlwerke mit Blick auf den realistischerweise zu erzielenden Preis eine Anpassung auf den Buchwert vorgenommen – Folge ist eine weitere Abschreibung in Höhe von 683 Millionen Euro. Nach Wertberichtigungen von 2,1 Milliarden und 3,6 Milliarden Euro stehen die Anlagen nun nur noch mit 3,4 Milliarden Euro in den Büchern. Diese Operation hat dem Technologie- und Stahlkonzern zum Halbjahr des Geschäftsjahres 2012/2013 einen Jahresfehlbetrag von 822 Millionen Euro beschert.
Eigenkapitalquote rutscht auf 9,5 Prozent
Auch wenn Thyssen-Krupp betont, mit acht Milliarden Euro abrufbarer flüssiger Mittel „solide“ finanziert zu sein, rutscht doch die Eigenkapitalquote (Anteil des Eigenkapitals an den gesamten Vermögenswerten in der Bilanz) auf äußerst niedrige 9,5 Prozent. Das dürfte die Spekulationen über eine bevorstehende Kapitalerhöhung kräftig anheizen. Weder die Krupp-Stiftung noch Vorstandschef Heinrich Hiesinger schließen einen solchen Schritt aus. Hiesinger sprach am Mittwoch von einer Möglichkeit innerhalb der nächsten sechs bis neun Monate.
Zuvor müsste der Konzern freilich den Verkauf der Stahlwerke in trockenen Tüchern haben. Denn je nach Kaufpreis unter 3,4 Milliarden drohen weitere Abschreibungen. Der Verkauf solle „zeitnah“ erfolgen, teilte das Unternehmen am Mittwoch mit. Zudem müsste für die Ausgabe neuer Aktien auch absehbar sein, ob und in welcher Größenordnung der neue Kartellfall um Preisabsprachen bei Autoblechen Straf- und Schadenersatzzahlungen auslösen könnte. Bis Mitte Juni läuft ein Amnestieprogramm, in dem sich Mitarbeiter offenbaren können, ohne Schadenersatzforderungen oder arbeitsrechtliche Schritte fürchten zu müssen.
Kapitalerhöhung birgt Unwägbarkeiten
Eine Kapitalerhöhung wäre für Thyssen-Krupp und den Großaktionär, die Krupp-Stiftung, mit großen Unwägbarkeiten verbunden. Es gilt als ausgeschlossen, dass die Stiftung unter Führung des 99-jährigen Berthold Beitz das Geld hat, um neue Aktien zuzukaufen. Damit könnte die Stiftung ihre Sperrminorität von 25,3 Prozent verlieren.
Der Konzern wäre mithin anfällig für Übernahmen, da die Einzelteile wohl mehr wert sind als der derzeitige Börsenwert des Traditionskonzerns. Der Börsenwert liegt bei rund acht Milliarden Euro. Unterm Strich dürfte das Brasilien-Debakel einschließlich der Anlaufverluste ebenfalls gut acht Milliarden Euro gekostet haben.
200 der 800 Jobs in der Essener Verwaltung sollen wegfallen
Im Kampf gegen die Krise und als Folge eines Organisationsumbaus greift Thyssen-Krupp auch zu weiteren drastischen Personaleinschnitten, die jetzt die Verwaltung treffen. Von weltweit 15.000 Stellen will Thyssen-Krupp 3000 abbauen – in Abstimmung mit dem Konzernbetriebsrat und möglichst ohne betriebsbedingte Kündigungen, hieß es. Insgesamt soll der Schnitt 250 Millionen Euro zu dem bereits verkündeten Sparprogramm von zwei Milliarden Euro beitragen.
In zwei bis drei Jahren sollen zwei Drittel der Stellen über Abfindungen und freiwillige Maßnahmen abgebaut sein. Rund 1600 Stellen sind in Deutschland betroffen, davon 200 der 800 Jobs in der Essener AG-Hauptverwaltung. Hier soll es bereits bis zur Sommerpause Klarheit für die Mitarbeiter geben. Jüngst hatte der Konzern den Abbau von 2000 Stellen im Stahlgeschäft bekanntgegeben. Darin enthalten sind 465 Verwaltungsstellen. Insgesamt stehen damit 4500 der 151 000 Stellen auf der Streichliste.
Hiesinger sieht sich auf gutem Weg
Hiesinger zeigte sich zuversichtlich. Man sei auf gutem Wege, die operativen Ziele für das Gesamtjahr zu erreichen (Grafik). An der Börse stießen die Ankündigungen zunächst auf Wohlwollen.
Die Aktie legte um mehr als zwei Prozent zu, rutschte aber nach Hiesingers Äußerung zur möglichen Kapitalerhöhung ins Minus.