Frankfurt.

Der Präsident geht gerne zu Fuß. Jedenfalls wenn’s nach oben geht. Jens Weidmann erklimmt die 13 Etagen bis zu seinem Büro in der Bundesbank-Zentrale über die Treppen. Weidmann, Vater zweier Kinder, ist mit 45 Jahren der jüngste Bundesbankpräsident. Über seine Rolle als Hüter der Geldwertstabilität des Euro und als Mitglied im Rat der Europäischen Zentralbank sprachen Ulrich Reitz und Thomas Wels mit dem vormals engsten Wirtschaftsberater der Kanzlerin Angela Merkel.

Die EZB hat jüngst eine Zinssenkung auf ein historisch niedriges Niveau bekannt gegeben. Viele Ökonomen sagen, sie wird nicht zu der bezweckten höheren Kreditvergabe an Unternehmen in den südeuropäischen Krisenländern führen.

Ich habe schon im Vorfeld gesagt, man sollte die Effekte einer Leitzinssenkung derzeit nicht überschätzen. Die eigentlichen Probleme sind fehlendes Vertrauen und umfassender Reformbedarf. Dies kann die Geldpolitik nicht lösen.

Preisbereinigt haben wir nun schon lange Minuszinsen, das kann nicht lange gut gehen.

Wir befinden uns in einer besonderen Lage. Der Konjunkturausblick im Euro-Raum hat sich eingetrübt, der Preisdruck lässt nach. Daher ist die Geldpolitik zu Recht sehr expansiv. Entscheidend ist, dass der Zins zügig normalisiert wird, wenn sich die Lage aufhellt. Der Niedrigzins ist sicherlich keine Dauerlösung.

Dennoch sieht es so aus, als hätte die EZB ihre letzte Patrone im Kampf gegen die Krise verschossen.

Die Geldpolitik ist weiter handlungsfähig. Wir müssen aber zweifelsohne die Risiken negativer Realzinsen im Auge behalten.

Die Teuerung frisst an den Sparguthaben in Deutschland.

Das stimmt. Das spürt jeder, der derzeit etwas Geld zur Seite legen möchte: Der reale Werterhalt von Vermögen ist schwierig geworden. Auch den Lebensversicherern fällt es schwerer, den Garantiezins zu erwirtschaften. Auf der anderen Seite wird der Konsum angeregt, und Unternehmen können jetzt günstiger investieren, was auch in Deutschland die Konjunktur stützt. Die Sparer müssen sich aber darauf verlassen können, dass wir die geldpolitischen Zügel anziehen, sobald der Inflationsdruck wieder zunimmt.

Die Zinsen sind in den Euro-Ländern höchst unterschiedlich. Wenn ein Mittelständler in Italien oder Spanien das Mehrfache an Zinsen zahlen muss wie im Norden, verzerrt das den Wettbewerb.

Nein, da wäre ich vorsichtiger. Ein einheitliches Zinsniveau kann nicht Ziel der Geldpolitik sein und ist auch nicht Zeichen eines funktionierenden Binnenmarkts. Der Zins für ein Investitionsvorhaben ist Ausdruck für die Chancen und Risiken, die mit dem Vorhaben verbunden sind. Sind die Aussichten für ein Unternehmen schlechter als für ein anderes Unternehmen, so drückt sich das zu Recht in unterschiedlichen Zinsen aus. Hier spielt natürlich auch das wirtschaftliche und politische Umfeld in den jeweiligen Ländern eine Rolle.

Aber sind die Zinsunterschiede nicht ungewöhnlich groß?

Es ist doch inzwischen weitgehend Konsens, dass die Finanzkrise auch dadurch entstanden ist, dass die Kreditzinsen in den verschiedenen Ländern nicht die unterschiedlichen Risiken widergespiegelt haben und es daher zu den Übertreibungen gekommen ist, unter denen wir heute leiden.

Der Zins als Barometer einer Volkswirtschaft?

Gewissermaßen ja. Wir sollten daher keinen Anspruch auf einheitliche Zinsen erheben. Zinsen haben eine Steuerungsfunktion. Wer hohe Schulden hat, muss hohe Zinsen zahlen und hat einen weiteren guten Grund, Schulden abzubauen.

Das heißt für Europa?

An einem Abbau der Verschuldung führt kein Weg vorbei. Und dazu gehört auch, dass Banken weniger Kredite vergeben. Flankierend muss die Politik grundlegende Reformen angehen, um damit die Wachstumsperspektiven zu verbessern.

Was wäre so schlimm an einer Rückkehr zur D-Mark?

Der Euro ist unsere Währung. Ich setze mich entschieden für den Erhalt der Währungsunion als Stabilitätsunion ein. Der Zerfall des Euro würde zu drastischen Verwerfungen führen. Den Zusammenhalt der Währungsunion sicherzustellen, ist aber letztlich Aufgabe der Politik, wir als Notenbank sind für Geldwertstabilität zuständig.