Essen. . Seit fast zwei Jahren führt der einstige CDU-Spitzenpolitiker Roland Koch nun den Mannheimer Industrie- und Dienstleistungskonzern Bilfinger mit seinen 67.000 Mitarbeitern. Im Interview mit Ulf Meinke spricht der 55-Jährige über seine Aufgabe jenseits der Politik.
„Politik ist ein faszinierender Teil meines Lebens, aber Politik ist nicht mein Leben.“ Mit diesen Worten kündigte Roland Koch im Frühjahr 2010 seinen Rücktritt als Ministerpräsident von Hessen an. Seit fast zwei Jahren führt der einstige CDU-Spitzenpolitiker nun den Mannheimer Industrie- und Dienstleistungskonzern Bilfinger mit seinen 67 000 Mitarbeitern. Im Interview mit Ulf Meinke spricht der 55-Jährige über seine neue Aufgabe jenseits der Politik.
Es ist nicht alltäglich, dass ein Ministerpräsident aus freien Stücken geht und an die Spitze eines großen Konzerns wechselt. Hat das Vorbildcharakter? Sollte die Durchlässigkeit zwischen Politik und Wirtschaft größer sein? Koch: Ich glaube, dass wir da grundsätzlich noch eine Menge Spielraum in Deutschland haben und es Politik und Wirtschaft wie der gesamten Gesellschaft sehr nutzen würde. Das setzt voraus, dass der wechselseitige Respekt wächst. In der Wirtschaft wird häufig unterschätzt, welche Management-Verantwortung Regierungsmitglieder tragen. Unternehmer wiederum müssen ähnlich wie Politiker die Fähigkeit haben, Menschen zusammenzubringen, Entscheidungen herbeizuführen und für deren Umsetzung zu sorgen. Meine Sorge ist allerdings, dass die Art der öffentlichen Debatte über die Politik viele erfolgreiche Menschen aus der Wirtschaft abschreckt, ein politisches Amt zu übernehmen. Hinzu kommt das Gehälterthema. Werden Politiker zu schlecht und Konzernchefs zu gut bezahlt? Wer sich entscheidet, einen Teil seines Lebens in der Politik zu verbringen, macht das auch, weil er nicht jeden Tag aufs Gehalt schaut. Eine Besoldung in der Demokratie muss sich an anderen Dingen orientieren als an Renditeanteilen, die Eigentümer ihren Managern gewähren. Beide Seiten – Wirtschaft und Politik – haben ihre Logik. Aber es ist eine unterschiedliche Logik, und damit müssen wir in der Demokratie auch fertig werden. Als Bilfinger-Chef vertreten Sie nun die Interessen der Industrie. Was treibt Sie besonders um? Die Zukunft des Industriestandorts Deutschland. Unser Land hat die Euro-Krise bislang auch deshalb so gut gemeistert, weil wir über eine innovative und starke Industrie verfügen. Aber die Industrie ist eine Pflanze, die nicht von selber gedeiht. Das Umfeld muss stimmen. Beispiel Strompreise: Ist es gerechtfertigt, dass die Industrie privilegiert wird, während sich viele Verbraucher über steigende Preise ärgern? Wir machen jedenfalls einen Fehler, wenn wir die Frage nach der Höhe der Strompreise zu einer nationalen Gerechtigkeitsdebatte umdeuten. Im Wettbewerb der Industrien verschiedener Staaten sind die Energiepreise eine entscheidende Komponente. Deutschland kann es sich aufgrund seiner hohen Produktivität leisten, an der oberen Grenze zu sein. Das haben wir bewiesen. Aber das geht nicht unbegrenzt. Unser energiepolitischer Kurs hat zur Folge, dass Strom hierzulande in den nächsten zehn Jahren teurer sein wird als in den Ländern, die mit uns konkurrieren. Daher muss man entweder der Industrie helfen, dass sie wettbewerbsfähig bleiben kann oder hinnehmen, dass sehr viele Arbeitsplätze verloren gehen.
Ein wichtiger Standort für Bilfinger ist Oberhausen, wo sich der Sitz der Kraftwerkssparte Power Systems befindet. Was haben Sie an dieser Stelle vor? Wir sehen in der Kraftwerkssparte erhebliche Wachstumspotenziale. Über große Kompetenz verfügen wir bei der Modernisierung älterer Anlagen. Ein Beispiel: Das größte Braunkohlekraftwerk Europas in Polen wird von uns derzeit Stück für Stück so erneuert, dass eine Anlage, die vor 30 Jahren gebaut worden ist, für die nächsten 20 Jahre auf Basis moderner Umweltstandards weiter betrieben werden kann. Wir verzeichnen auch in Ländern wie Indien oder Vietnam großes Interesse. Im Moment ist unsere Kraftwerkssparte, was die Gewinnmarge angeht, am erfolgreichsten innerhalb des Konzerns. Noch eine persönliche Frage: Sie haben eine Rückkehr in die Politik mehrfach ausgeschlossen und gesagt, Sie würden den Wechsel in die Wirtschaft keinen Tag bereuen. Das klingt fast so, als sei der Job des Konzernchefs schöner als das Amt des Ministerpräsidenten. Ich möchte die Zeit in der Politik wahrlich nicht missen. Ich habe im Laufe der Jahre vieles erfahren, lernen und auch einiges bewegen können und dürfen. Dafür bin ich dankbar. Jetzt habe ich eine neue Aufgabe – mit allen Chancen und Risiken, die es in der Führung eines Unternehmens genauso gibt wie in der Politik.