Essen. Ludwig Ladzinski ist ein Urgestein des Kohlenbergbaus im Revier. Seit 43 Jahren bei der RAG, seit 15 Jahren Betriebsratschef auf der Zeche Prosper Haniel in Bottrop, seit 2001 Chef des Gesamtbetriebsrats. Am Dienstag hat Ladzinski seinen letzten Arbeitstag. Im Interview spricht er über den Strukturwandel und Milchmädchenrechnungen

Ludwig Ladzinski ist seit 43 Jahren bei der RAG, seit zwölf Jahren Chef des Gesamtbetriebsrats. Jetzt geht er in den Ruhestand. Wie es im dabei geht, verriet er im Gespräch mit Thomas Wels.

Freuen Sie sich auf den Ruhestand?

Ludwig Ladzinski: Freuen? Nee. Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich fühle mich wie jeder andere Mitarbeiter auch in der Pflicht zu gehen, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat. Ich kann doch von anderen nicht verlangen zu gehen, wenn sie die Voraussetzungen erfüllt haben, aber für mich gilt das nicht.

Manch einer bezeichnet Sie als einen der einflussreichsten Strippenzieher im Revier.

Ladzinski: Ach, wissen Sie, das ist so eine Bezeichnung …

... vielleicht gefällt Ihnen Königsmacher besser.

Ladzinski: Könige werden nicht gemacht, Könige gibt’s hier nicht. Jeder versucht seine Arbeit so gut wie möglich zu machen, zum Wohle der Mitarbeiter und des Unternehmens. Da habe ich meine Gelegenheiten genutzt. Fertig.

2007, als es um den Ausstiegsbeschluss und die Trennung der Steinkohle von der Chemie und Energie ging, saßen Sie mit am Verhandlungstisch. Wie sehen Sie die Lösung im Nachhinein? Ein Jahrhundertvertrag?

Ladzinski: Ich bleibe dabei: Die Grundsatzentscheidung zum Ausstieg halte ich persönlich für falsch, aber nach wie vor halte ich das, was vereinbart wurde, für den richtigen Weg, so einen Prozess zu begleiten. Wir beerdigen hier einen Industriezweig, und das ohne viel Wirbel und soziale Verwerfungen.

Die Verhandlungslinie von Ministerpräsident Rüttgers war damals: Ausstieg 2014 statt 2018. Sie haben nach einer Verhandlungsnacht binnen sechs Stunden 10 000 Bergleute für eine Demonstration in Düsseldorf mobilisiert. Hat Sie die Mobilisierungsfähigkeit überrascht?

Ladzinski: Nein. Im Gegenteil. Wir haben gesagt, wenn wir demonstrieren, dann einmal und das muss dann sitzen. Wir konnten ja nicht alle zwei Tage nach Düsseldorf fahren. Ich musste aber schon Druck aus der Belegschaft aushalten, weil die gesagt haben: Wie lange willst du noch warten? Irgendwann ist es zu spät.

Dann standen alle bereit?

Ladzinski: Ja. Die standen alle in den Startlöchern. Das war auch ein Risiko, denn wir wussten selber nicht, wie viele kommen würden, als wir um halbzwei nachts entschieden haben: wir fahren, 11 Uhr in Düsseldorf, fragt nicht wie: macht einfach. Das war logistisch eine Meisterleistung der Kollegen.

Was hat’s gebracht?

Ladzinski: Wenn wir nicht gegangen wären, wäre es so nicht gekommen. Da bin ich fest von überzeugt. Da hat keiner mit gerechnet, auch nicht, dass wir das so schnell auf die Straße gekriegt haben.

Wie bei den Berechnungen der Subventionen Milchmädchenrechnungen aufgemacht wurden

Wirtschaftsforschungsinstitute wie das RWI machen Subventionen über fünf Jahrzehnte für einen langsameren Strukturwandel im Revier verantwortlich.

Ladzinski: Die Aussage halte ich für völlig verfehlt. Gucken Sie sich heute mal Strukturwandel an in den Regionen, in denen es keinen Bergbau mehr gibt. Gucken sich Stadtbild und Infrastruktur an. Es gibt Studien aus England, die sagen, dass Regionen nach dem Bergbau 20 Jahre gebraucht haben, um sich zu erholen. Ich sag’s noch mal, will ja keiner hören: 2007 war der Anteil der Kohle-Subventionen an den Gesamtsubventionen um die zwei Prozent. Den Ansatz, mit Streichung dieser zwei Prozent die Finanzlage des Bundes in Ordnung zu bringen, halte ich für seltsam.

Kritiker sagen, das Ruhrgebiet wäre weiter im Strukturwandel, wenn früher Schluss gewesen wäre.

Ladzinski: Nee, absolut nicht. Man kann alte Industrien nicht von heute auf morgen abschalten. Das braucht Zeit. Wir waren mal bei 360.000 Mitarbeitern, jetzt sind wir bei 17.000. Hier hat es keine Volksstürme gegeben, keine Straßenschlachten, alles ist sozialverträglich abgelaufen.

Keiner fällt ins Bergfreie, davon können viele normale Arbeitnehmer nur träumen.

Ladzinski: Hier liegt keiner in der Hängematte. Wir haben Tarifverträge gemacht, die da lauteten: sechs Prozent Lohnkürzungen. Die Mannschaft hat ihren Teil zum sozialverträglichen Abbau beigetragen, wir waren eine der ersten Gewerkschaften, die Arbeitszeitmodelle zur Verhinderung von betriebsbedingten Kündigungen gemacht hat. Wir haben die Arbeit, die da war, auf die Leute verteilt.

Die Solidarität im Bergbau.

Ladzinski: Das gibt es heute wenn überhaupt nur noch in wenigen Branchen. Wir haben Freischichten ausgehandelt. Und ich weiß noch gut, wie mir die Leute gesagt haben: Freischicht ist schön, aber weißt du, dass Freizeit Geld kostet und ich mit einem Freischichtenschein nicht bei Aldi bezahlen kann. Wir haben mal in der Lohnskala an vierter Stelle gestanden, jetzt steht der Bergmann irgendwo in den 20ern.

Das Thema regt Sie immer noch auf?

Ladzinski: Was mich tierisch aufgeregt hat, waren Rechnungen, die Subventionen durch Köppe geteilt haben und dann hieß es, jeder Bergmann kostet 80 000 Euro im Jahr. Das war eine absolute Milchmädchenrechnung. Wir werden und wurden nicht exklusiv behandelt. Meine erste Amtshandlung als Gesamtbetriebsratschef 2001 war ein Sparpaket von 570 Millionen Euro. Das war der Beitrag der Belegschaft, ich habe das ein Schweinepaket genannt. Das war knallharter Abbau von Sozialleistungen. Wir haben unseren Beitrag immer geleistet. Das erwarte ich von der Politik auch. Und noch etwas: 25 Jahre unter Tage, das muss erst mal einer schaffen.

Die Zeit war nicht einfach?

Ladzinski: Die Belegschaft hat verstanden, dass es ohne betriebsbedingte Kündigungen keinen anderen Ausweg gibt. Das haben letztlich alle mitgetragen, um andere zu retten. Wir haben alle Mann an Bord gehalten.

Ihr Job als Betriebsratschef war hochpolitisch. Sie haben aber auch verlässliche Partner im Lager der CDU gefunden, gar Freundschaften?

Ladzinski: Es hat querbeet über alle Fraktionen auch Mitstreiter gegeben, bis auf eine Partei, da habe ich keinen gesehen, ist aber auch egal.

Sie meinen die FDP.

Ladzinski: Kann sein.

Welche Erwartungen an die RAG-Stiftung haben Sie?

Ladzinski: Viele. Grundaufgabe ist, Kapital einzusammeln und Ewigkeitslasten zu finanzieren. Sie hat darüber hinaus auch andere Aufgaben. Noch mal: Wir beerdigen hier einen Industriezweig, man sollte auch daran denken, wie man der Nachwelt etwas davon erhält. Es gibt über 30 Einrichtungen rund um den Bergbau vom Museum, der Fachhochschule bis hin zu einer Reihe von sozialen Stiftungen.

Bergbau weg - Bude weg

Es geht mehr verloren als der Bergbau?

Ladzinski: Na klar, das verstehen aber einige erst jetzt, wo der Bergbau weg ist. Der Bergbau hat der Region ein soziales Gesicht gegeben. Nehmen Sie die Selters-Bude am Pütt: Zeche weg, Bude weg. Da haben sich aber die Leute aus dem Viertel getroffen, nicht nur die Bergleute. Oder die Ausbildung. In Bottrop auf Prosper werden noch 100 Azubis ausgebildet. Wenn’s keinen lebenden Bergbau mehr gibt, gibt es auch keine Ausbildung mehr. Da kommt eins zum anderen.

Die RAG passt sich an, baut die Erneuerbare aus, das Schlagwort von der grünen RAG macht die Runde. Kommen Sie als einer, der 43 Jahre im Bergbau ist, mit Grün klar?

Ladzinski: Was heißt, komme ich damit klar? Fakt ist: Das Unternehmen besteht auch nach 2018. Und dass wir einen Beitrag für die Zukunft leisten. Wenn wir die Voraussetzungen haben, Pumpspeicher in Schächten zu bauen, wären wir behämmert, wenn wir die nicht zur Verfügung stellen würden. Die Investitionen kann die RAG aber nicht aus eigenem Topf bezahlen. Wichtig ist: Die Erneuerbaren bergen keine Chance für eine nennenswerte Zahl von Arbeitsplätzen. Das muss jedem klar sein.

Sie hadern doch noch sehr mit dem Ende 2018.

Ladzinski: In Bottrop hat man eine Kohleölanlage abgebaut, weil man gesagt hat, die ist erst rentabel bei einem Benzinpreis von zwei Mark. Die hat man verkauft. Wissen Sie wohin? Nach China. In Dortmund wurde die weltweit modernste Kokerei stillgelegt und verkauft. Wohin? Nach China. Fahren Sie heute mal zu einer Tanke und gucken auf die Säule.

Der Bergbau ist aber nicht wirtschaftlich in Deutschland.

Ladzinski: Ich sage nicht, die Steinkohleförderung ist betriebswirtschaftlich rentabel. Auch die Energieversorgungssicherheit steht nicht an erster Stelle. Eins ist aber ganz entscheidend: Wir müssen uns Zugang zur Lagerstätte erhalten. Wenn ich eine Pommesbude zumache, haue ich nach drei Jahren eben die Fritteuse wieder an und mach’ Pommes. Das geht beim Bergbau nicht. Wenn ein Bergwerk schließt, dann ist das unwiderruflich weg. Wenn Sie ein neues planen und errichten, dauert das zwölf bis 15 Jahre, bis die erste Kohle kommt. Das muss man in der Birne haben. Das ist der Punkt. Die Entscheidung, den deutschen Steinkohlebergbau in Gänze zu schließen, halte ich für falsch. Die Entscheidung ist politisch gefallen, das habe ich nicht zu akzeptieren, ich habe es zu respektieren. Punkt. Ende.

Lesen Sie auch