Essen. Der Versandhandel Amazon hat erste Konsequenzen aus den Vorwürfen in der ARD-Dokumentation “Ausgeliefert - Leiharbeit bei Amazon“ gezogen. Das Unternehmen feuerte mit sofortiger Wirkung den privaten Sicherheitsdienst H.E.S.S. Dessen Mitarbeiter sollen ausländische Arbeitsnehmer schikaniert haben.

Amazon hat seinen Sicherheitsdienst mit sofortiger Wirkung gefeuert. Die ARD-Dokumentation "Ausgeliefert - Leiharbeit bei Amazon" zeigte jüngst wie die ausländischen Arbeitsnehmer von dem privaten Sicherheitsdienst "Hensel European Security Services" auf Schritt und Tritt kontrolliert wurden. Die Firma, die in ihrer Abkürzung den gleichen Namen wie Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess trägt, soll demnach Kontakte in die Neonazi-Szene haben. Mitarbeiter hätten neonazi-typische Kleidungsmarken getragen und der Geschäftsführer der Firma zeige sich auf Fotos im Internet mit verurteilten Rechtsextremen, erklärten die ARD-Journalisten.

"Amazon hat veranlasst, dass die Zusammenarbeit mit dem kritisierten Sicherheitsdienst mit sofortiger Wirkung beendet wird", sagte eine Sprecherin am Montag in München und bestätigte damit einen Bericht von "sueddeutsche.de". Amazon habe "eine Null-Toleranz-Grenze für Diskriminierung und Einschüchterung - und wir erwarten das gleiche von allen Unternehmen, mit denen wir arbeiten".

Sicherheitsdienst wehrt sich gegen Vorwürfe

Der Sicherheitsdienst H.E.S.S., der die zumeist ausländischen Mitarbeiter dem Bericht zufolge schikaniert haben soll, wehrte sich am Wochenende in einer Pressemitteilung gegen die Vorwürfe: "Den Vorwurf, unser Unternehmen pflege rechtsradikale Ansichten oder unterstütze diese, weisen wir zurück."

Der Amazon-Subunternehmer bestätigte, Zimmerdurchsuchungen durchgeführt zu haben. Die Durchsuchungen seien zur "Dokumentation etwaiger Beschädigungen oder abhandengekommener Sachen" im Einvernehmen mit dem Hotelbetreiber erfolgt und nicht rechtswidrig. Es gehöre zum Auftrag des Sicherheitsdienstes, "Hoteleigentum der unterbringenden Gastwirte vor Diebstahl und Beschädigung zu schützen."

ARD-Dokumentation über Amazon löste Protestwelle aus

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Die ARD-Dokumentation hatte über schlechte Arbeitsbedingungen von Saisonarbeitern aus dem Ausland bei dem Versandhändler in Deutschland berichtet. Am Wochenende hatte sich Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in die Debatte eingeschaltet und der Leiharbeitsfirma, die mit Amazon zusammenarbeitet, mit einem Lizenzentzug gedroht.

Auch auf Facebook erntete Amazon massive Kritik. "Ich werde nie wieder was bei Ihnen bestellen, mir fehlen die Worte, wie kann man mit Menschen so umgehen!", schreibt eine Frau. "Boykott bis die Sklavenarbeit bei Amazon abgeschafft wurde", sagt ein Mann. Auch andere Kunden wollen vorerst nicht mehr beim Versandhändler einkaufen.

Wallraff spricht von "grausamsten" Arbeitsbedingungen bei Amazon

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Der Kölner Enthüllungsjournalist Günter Wallraff hat die Arbeitsbedingungen bei dem in die Kritik geratenen Internet-Versandhändler Amazon angeprangert. "Mir sind mehrfach von dort Beschäftigten grausamste Arbeitsbedingungen geschildert worden", sagte der Autor der Nachrichtenagentur dpa am Montag in Köln. Das betreffe vor allem Saison- und Leiharbeiter.

Aus Zuschriften von Betroffenen gehe hervor, dass diese von Kameras überwacht, schon bei kleinen Verschnaufpausen zum Vorgesetzten zitiert würden und mit Repressalien rechnen müssten. "Über die Arbeiter wird verfügt wie über Leibeigene." In Einzelfällen durften Wallraff zufolge Medikamente, die etwa Diabetiker brauchten, nicht mit ins Lager genommen werden.

Der 70 Jahre alte Autor sagte, er recherchiere seit längerem in der gesamten Paket- und Zustellerbranche und sei auf breiter Front auf unzumutbare Zustände gestoßen. Wallraff hatte 2012 - nach Recherchen und eigenen Undercover-Einsätzen - "Menschenschinderei mit System" beim Paketzusteller GLS kritisiert. Die Firma hatte die Vorwürfe zurückgewiesen. Das ebenfalls kritisierte Unternehmen Hermes hatte dagegen Verbesserungen für die eigenen Zusteller angekündigt. (dpa/dapd/rtr/we)

Zeitarbeitsbranche distanziert sich von Missbrauch

Die Zeitarbeitsbranche will angesichts der Debatte um schlechte Arbeitsbedingungen beim Versandhändler Amazon und anderen Unternehmen unsaubere Praktiken nicht hinnehmen. "Immer dort, wo illegale beziehungsweise unethische Machenschaften im Zusammenhang mit Zeitarbeitseinsätzen praktiziert werden, distanzieren wir uns ausdrücklich hiervon", erklärte der Hauptgeschäftsführer des Interessenverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ), Werner Stolz, am Montag in Münster. Die Mitglieder des Verbands hätten sich einem Ethikkodex verpflichtet und arbeiteten zudem mit einer Schlichtungsstelle zusammen.

Rund 90 Prozent der Zeitarbeiter bei den Mitgliedsfirmen hätten einen unbefristeten Arbeitsvertrag, betonte Stolz. Der iGZ ist einer der Arbeitgeberverbände der Branche und vertritt nach eigenen Angaben rund 2700 mittelständische Unternehmen.

Verdi verhandelt über Tarifvertrag bei Amazon

Die Gewerkschaft Verdi kämpft um höhere Löhne für die fest angestellten Beschäftigten des umstrittenen Versandhändlers Amazon. An den Standorten Leipzig und Bad Hersfeld in Hessen hätten erste Gespräche mit dem US-Unternehmen stattgefunden, berichtete der Frankfurter Verdi-Sekretär Bernhard Schiederig am Montag. Man fühle sich stark genug, einen Tarifvertrag durchzusetzen. Verdi verlangt, dass Amazon den Flächentarifvertrag für den Einzelhandel anerkennt. Daraus würden sich deutlich höhere Stundenlöhne ergeben. Bislang orientiere sich das nicht tarifgebundene Unternehmen am Tarifvertrag für die Logistikbranche.