New York/Washington. Die Finanzkrise holt die Ratingagenturen ein: Jahrelang mussten sie kaum Konsequenzen dafür tragen, dass sie Hypothekenpapiere zu optimistisch bewertet hatten. So lösten sie die Finanzkrise mit aus. Nun klagt das US-Justizministerium gegen Standard & Poor's. Eine riesige Strafzahlung droht.
Die führende Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) muss sich für ihre Rolle in der Finanzkrise verantworten. Fünf Jahre nach dem Beinahe-Kollaps des Finanzsystems hat das US-Justizministerium eine Betrugsklage gegen S&P und deren Mutterfirma McGraw-Hill eingereicht. Der Vorwurf: S&P habe Risiken bei Hypothekenpapieren verschwiegen. Diese Hypothekenpapiere waren der Sprengstoff, der die Märkte beben ließ und zum Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 führte.
Das US-Justizministerium reichte die Klage am späten Montag (Ortszeit) vor dem Bezirksgericht von Los Angeles ein. Es ist die bislang heftigste juristische Attacke auf die Ratingagenturen in den Vereinigten Staaten. Eine milliardenschwere Strafzahlung droht. Die Aktie des Mutterkonzerns McGraw-Hill war nach Bekanntwerden der anstehenden Auseinandersetzung bis Börsenschluss am Montag in New York um annähernd 14 Prozent eingebrochen.
Zu gute Noten für Hypothekenpapiere
Ratingagenturen schätzen ein, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Wertpapiere ausfallen und Investoren damit ihr Geld verlieren. In diesem Falle lagen den bewerteten Anlageprodukten vor allem Kredite von US-Eigenheimen zugrunde. Die Idee: Hunderte oder Tausende von Krediten werden von den Banken gebündelt und weiterverkauft. Die Anleger sollten dann an den regelmäßig eingehenden Kreditraten sowie an der Wertsteigerung der Immobilien verdienen.
Auch interessant
In den Jahren vor der Finanzkrise bekamen solche Hypothekenpapiere regelmäßig sehr gute Bonitätsnoten - die Ratingagenturen rechneten demnach nicht mit größeren Zahlungsausfällen. Investoren verließen sich auf diese Urteile und griffen bei den scheinbar risikoarmen und anfangs hochprofitablen Anlageprodukten zu. Als der zunächst boomende amerikanische Immobilienmarkt jedoch ins Taumeln geriet und letztlich die Finanzkrise ausbrach, verloren die Papiere schlagartig an Wert - selbst solche, die die Ratingagenturen nur Monate zuvor noch mit der Bestnote Triple-A ausgezeichnet hatten.
Risiken bewusst heruntergespielt?
S&P habe die Risiken bei bestimmten Wertpapieren bewusst heruntergespielt, so der Vorwurf des Justizministeriums. Beweisen sollen das unter anderem interne E-Mails. Grund sei gewesen, dass die Ratingagentur Aufträge habe ergattern wollen. Denn nicht die Anleger hatten S&P mit der Bewertung der Hypothekenpapiere betraut, sondern die verkaufenden Banken. Dieses Geschäftsmodell wird zwar seit Jahren kritisiert wegen der entstehenden Interessenkonflikte, doch ist es bis heute üblich in der Branche.
S&P hatte schon vor der Klageerhebung erklärt, die Vorwürfe seien komplett unbegründet. Auch niemand anderes habe das volle Ausmaß des Abschwungs am Immobilienmarkt vorausgesehen. Das gelte sowohl für die anderen Ratingagenturen als auch für Regierungsvertreter. S&P habe sogar schneller als die meisten Wettbewerber weitreichende Maßnahmen ergriffen, verteidigte sich die Firma.
Bisherige Klagen erfolglos
Es gab zwar durchaus schon Klagen von Investoren gegen die Ratingagenturen. Doch fast alle verliefen im Sande. Denn S&P und Co. stellen sich auf den Standpunkt, sie hätten mit ihrer Benotung lediglich eine Meinung vertreten und keine Kaufempfehlung abgegeben. Und eine freie Meinungsäußerung sei von der Verfassung garantiert.
Die Abwehrfront scheint aber zu bröckeln: Mitte Januar hatte der Bundesgerichtshof in Karlsruhe entschieden, dass Ratingagenturen in Deutschland grundsätzlich wegen ihrer Einschätzung verklagt werden können. Zuvor hatte ein australisches Gericht S&P zur Zahlung einer millionenschweren Entschädigung verurteilt, weil die Ratingagentur Anleger in die Irre geführt habe. In New York hatte ein Gericht eine ähnliche Klage von Investoren zugelassen.
Gescheiterte Gespräche über Vergleich
Nach Informationen des "Wall Street Journal" und der "New York Times" hatte es vor der Klageerhebung Gespräche über einen Vergleich gegeben. Diese seien jedoch gescheitert, nachdem das Justizministerium auf eine Zahlung von mehr als 1 Milliarde Dollar gedrängt habe. S&P habe rund 100 Millionen Dollar angeboten. Es wird erwartet, dass sich auch die Generalstaatsanwaltschaften mehrerer Bundesstaaten dem Vorstoß anschließen.
S&P ist die Nummer eins der Ratingagenturen, doch wird sie zumeist in einem Atemzug mit den Rivalen Moody's und Fitch genannt. Die drei Ratingagenturen hätten die "finanzielle Kernschmelze" mit ermöglicht, hatte ein Ausschuss des US-Kongresses in seinem Abschlussbericht zur Finanzkrise festgestellt. Zuletzt waren die Ratingagenturen wegen der Abstufungen europäischer Länder in die Schusslinie geraten. Politiker hatten ihnen vorgeworfen, die Schuldenkrise noch zu verschlimmern. (dpa)