Bochum. Nach massiven Verlusten bei Thyssen-Krupp durch Probleme bei Stahlwerken in den USA und Brasilien wird der Aufsichtsrat für das Geschäftsjahr 2011/2012 auf die Hälfte der Vergütung verzichten. Die Kartell- und Korruptionsfälle verurteilte Aufsichtsratschef Cromme beim Aktionärstreffen nachdrücklich.

Buhrufe und Pfiffe – Gerhard Cromme,
Aufsichtsratsvorsitzender von Thyssen-Krupp, weht bei der laufenden
Hauptversammlung in Bochum eisiger Wind ins Gesicht. Bevor die Debatte über die
Krise des Konzerns beginnt, stellt der Münchner Anwalt Oliver Krauß den Antrag,
Cromme als Versammlungsleiter abzusetzen. Der quirlige Jurist, der schon
Hauptversammlungen der Deutschen Bank und der Metro aufmischte, erntet
Beifallsstürme, als er Cromme als „die größte Teflonpfanne der Republik“, an
der jegliche Kritik abperle, bezeichnet. Krauß bezeichnet das Verhalten des
Aufsichtsratsvorsitzenden als „unwürdiges Beispiel der Nichtverantwortung“.

Nach dem Frontalangriff ist Cromme sichtlich irritiert,
verzettelt sich. Nach Rücksprache mit dem Notar der Hauptversammlung lässt er
über den Antrag erst gar nicht abstimmen, Krauß habe „keinen wichtigen Grund“
genannt, warum Cromme als Versammlungsleiter abgesetzt werden sollte. Im
Bochumer Ruhrcongress macht sich Unruhe unter den Aktionären breit. Mehrere
Aktionärsschützer kündigen an, dem Aufsichtsrat die Entlastung zu verweigern.

Aufsichtsrat verzichtet für ein Jahr auf die Hälfte der Bezüge - Aktionäre lachen

Das Blitzlichtgewitter, das um kurz vor zehn Uhr auf die
Thyssen-Krupp-Oberen Berthold Beitz, Gerhard Cromme und Heinrich Hiesinger
niederging, war nur der Auftakt zu einer Hauptversammlung in Bochum, auf der es kräftig donnerte.

Mit lauten Lachern und wenig Applaus quittiert die
Hauptversammlung Crommes symbolische Geste: Für das Geschäftsjahr 2011/12
verzichtet der Aufsichtsrat auf die Hälfte seiner Bezüge. Cromme selbst sollte
als Vorsitzender 210.500 Euro, sein Stellvertreter Bertin Eichler von der IG
Metall 159.500 Euro erhalten. Die Bezüge für den Aufsichtsrat insgesamt sollten
sich nach Angaben von Thyssen-Krupp auf knapp 1,5 Millionen Euro belaufen.

Trotz zahlreicher Rücktrittsforderungen - Cromme wankt nicht

Cromme kennt sich aus mit brenzligen Situationen. Er hat das
Krupp-Stahlwerk Rheinhausen geschlossen und wurde deshalb mit Eiern beworfen.
Gegen Widerstand führte er die einstigen Konkurrenten Thyssen und Krupp
zusammen. Jetzt wird nach Crommes Verantwortung für die schwerste Krise in der
jungen Geschichte des fusionierten Konzerns gefragt. Doch trotz zahlreicher Rücktrittsforderungen
wankt der 69-Jährige nicht. In seinem Rechenschaftsbericht für den Aufsichtsrat
geht Cromme selbst darauf ein: „Unsere Geschichte zeigt, dass wir immer Kräfte
mobilisiert haben, um gestärkt aus solchen Krisen hervorzugehen. Das wird auch
diesmal so sein.“

Ob die Milliardenverluste bei den neuen Stahlwerken in
Brasilien USA, beim Schienen- und Aufzugkartell sowie Luxusreisen für
Journalisten und Gewerkschafter – Cromme legte Auszüge von Gutachten vor, die
er selbst in Auftrag gegeben hatte und die weder dem Aufsichtsrat, noch dem
Vorstand Pflichtverletzungen nachweisen. „Der Aufsichtsrat hat seine
aktienrechtlichen Pflichten zur Überwachung des Vorstands im Zusammenhang mit
den Steel-Americas-Projekten zu jedem Zeitpunkt umfassend eingehalten“, zitiert
Cromme aus den Gutachten.

Cromme: "Rechtlich korrekt bedeutet nicht unternehmerisch gut"

Er übt aber auch Selbstkritik: Der Vorstand habe bei der
Stahlwerke-Planung Annahmen und Kennzahlen vom Vorstand vorgelegt bekommen, die
„als deutlich zu optimistisch oder im Nachhinein sogar als falsch erwiesen haben“.
Dabei, so die Anwaltskanzlei Hengeler Mueller, seien dem damaligen Vorstand
aber keine Pflichtverletzungen vorzuweisen. Es wird also nicht zu
Schadenersatzansprüchen kommen. Cromme betont aber auch: „Rechtlich korrekte
Entscheidungen bedeuten nicht zwangsläufig auch gute unternehmerische
Entscheidungen.“ Nicht unerwähnt lässt der Aufsichtsratschef von Thyssen-Krupp
aber auch einige externe Gründe wie die Explosion der Arbeitskosten, die
Entwicklung der Wechselkurse und der Erzpreise, die zu der erheblichen
Verteuerung der Stahlwerke beigetragen hätten.

Wie schon im Dezember nimmt der Vorstandsvorsitzende
Heinrich Hiesinger seinen Chefaufseher in Schutz. Es sei Cromme gewesen, der
den Kulturwandel bei Thyssen-Krupp eingeleitet habe. Nicht zuletzt, indem er
vor zwei Jahren ihn, Hiesinger, von Siemens nach Essen geholt habe. Der
Konzernchef räumt ein, bei seinem Amtsantritt sei ihm nicht annähernd bewusst
gewesen, wie tiefgreifend der nötige Veränderungsprozess sein werde.
"Unsere alte Führungskultur war an vielen Stellen von Seilschaften und
blinder Loyalität gekennzeichnet. Fehlentwicklungen wurden lieber verschwiegen
als korrigiert", so Hiesinger.