Frankfurt. EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen zeigt sich in der Schuldenkrise vorsichtig optimistisch. Allerdings mahnt der 46-jährige Notenbanker an, dass der Reformeifer nicht nachlassen dürfe. Deutschland habe vernünftig konsolidiert und sei daher gut durch die Krise gekommen.

Jörg Asmussen ist seit Anfang 2012 Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) und damit einer der mächtigsten Notenbanker in Europa und einer der wichtigsten Manager der Schuldenkrise. Der 46-Jährige sieht deutliche Fortschritte im Umgang mit der Schuldenkrise und begrüßt die geplante europäische Bankenaufsicht.

Das Jahr Drei der Europäischen Staatsschuldenkrise ist zu Ende gegangen. Haben wir das Schlimmste überstanden?

Jörg Asmussen: Wir haben den Fiskalpakt mit einer Schuldenbremse nach deutschem Vorbild, wir haben den Krisenmechanismus ESM als allerwichtigstes Element, wir haben die Einigung über die europäische Bankenaufsicht. Die Eurozone ist ohne Zweifel stabiler aufgestellt als vor 12 Monaten. Wir können heute besser mit der Krise umgehen. Die Probleme sind aber nicht überwunden. Die Anpassungsprozesse, die Beseitigung der Struktur- und Wettbewerbsprobleme werden noch Jahre dauern.

Sind Sie zufrieden mit den Entscheidungen des jüngsten EU-Gipfels?

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Asmussen: Der Gipfel hat zwei wichtige Beschlüsse gebracht: Die europäische Bankenaufsicht und weitere Schritte hin zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Eurozone. Trotzdem ist das Treffen hinter den Erwartungen zurückgeblieben, wichtige Entscheidungen sind auf 2013 verschoben. Die Konstruktionsfehler der Währungsunion sind noch nicht beseitigt. Zusammen mit der relativen Ruhe an den Finanzmärkten schürt das die Sorge, dass der Reformeifer in den Euro-Staaten nachlässt.

Ist die Entscheidung zur Bankenaufsicht ein guter Kompromiss?

Asmussen: Es ist ein erster wichtiger Schritt zur Bankenunion. Eine funktionsfähige europäische Bankenaufsicht sollte im März 2014 ihre Arbeit aufnehmen. Parallel dazu brauchen wir ein Abwicklungsverfahren und einen Abwicklungsfonds auf europäischer Ebene für große systemrelevante Banken, damit im Krisenfall Institute grenzüberschreitend und geordnet aufgelöst, die Finanzmärkte nicht in Mitleidenschaft gezogen und die Steuerzahler nicht in Anspruch genommen werden.

Wie beurteilen Sie die Lage in den Krisenländern?

Asmussen: Irland und Portugal sind am weitesten vorangekommen. Beiden gelingt es schrittweise, an den Kapitalmarkt zurückzukehren. Spanien muss den Bankensektor weiter sanieren, Griechenland ist wieder auf Kurs. In drei Monaten steht die nächste Überprüfung an. Die griechische Regierung muss das Programm umsetzen. Manche Ökonomen haben für 2012 den Austritt des Landes vorhergesagt. Dazu ist es nicht gekommen, dazu wird es auch in 2013 nicht kommen.

Ist Deutschland Vorbild für die Euro-Zone?

Asmussen: Deutschland ist gut durch die Krise gekommen und erntet die Früchte der Reformen der letzten fünf bis zehn Jahre. Man darf sich aber nicht auf den Reformerfolgen ausruhen, sonst fällt das Land wieder zurück.

Und die Haushalts- und Finanzlage?

Asmussen: Deutschland hat vernünftig konsolidiert, begünstigt durch die niedrigen Zinsen. Viele internationale Anleger suchen den sicheren Hafen Deutschland. Deshalb kann der Finanzminister zehnjährige Anleihen zu einem Zins von 1,5 Prozent ausgeben. Das ist nicht normal, daran sollte sich niemand gewöhnen.

Was kommt auf den Steuerzahler wegen der Krise zu?

Asmussen: Die Rettungsschirme sind kein Fass ohne Boden. Die Haftung im ESM ist für Deutschland auf 190 Milliarden Euro begrenzt. Das ist ohne Zweifel eine gewaltige Summe. Bislang hat es keine Zahlungsausfälle gegeben. Dazu kommt es nur, wenn ein Land seinen Verpflichtungen nicht nachkommen kann. Die Hilfsprogramme zielen genau darauf, dass Reformen umgesetzt werden und es nicht zu Ausfällen kommt. Allerdings kosten die jetzt beschlossenen niedrigeren Zinsen für den ersten Hilfskredit für Griechenland erstmals Geld, das im Bundeshaushalt fehlt.

Haben die Maßnahmen der EZB in diesem Jahr Wirkung gezeigt?

Asmussen: Insbesondere die Ankündigung des neuen Programms zum Kauf von Staatsanleihen der Krisenländer --OMT – hat zur Marktberuhigung beigetragen. Im Sommer gab es die Sorge vor einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone. Wir mussten gegen solche Extremszenarien angehen, auch mit der Versicherung, alles, was der EZB erlaubt ist, zum Erhalt des Euro zu unternehmen. Denn nur eine Währung, an deren Bestand es keinen Zweifel gibt, ist eine stabile Währung. Jetzt liegt der Ball im Feld der Politik.

Je mehr die EZB agiert hat, desto lauter haben sich Kritiker zu Wort gemeldet. Hat die EZB Grenzen überschritten?

Asmussen: Wir haben im Euro-Tower eine europäische Perspektive. Die einen sagen, wir machen viel zu viel, andere, wir täten viel zu wenig. Unsere Antwort ist immer die gleiche: Wir werden innerhalb unseres Mandates alles tun, um das Auseinanderbrechen der Eurozone zu verhindern. Unser Statut sagt ausdrücklich, dass wir Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt kaufen und verkaufen dürfen, um damit die Preisstabilität zu sichern. Das tun wir im Blick auf den gesamten Euroraum.

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann gehört zu den Kritikern. Aus Weggefährten in Berlin scheinen Opponenten geworden zu sein.

Asmussen: Nein, wir verstehen uns persönlich weiter sehr gut. Es gibt nur eine, allerdings eine sehr wichtige Entscheidung, bei der wir unterschiedlicher Meinung sind: beim OMT-Programm zum Aufkauf von Anleihen der Krisenländer. Es ist völlig normal, dass man bei neuen Instrumenten zu abweichenden Einschätzungen kommt. Was neu ist: Es fällt heute auf, anders als in Berlin, als Jens Weidmann und ich Beamte waren. Heute sind wir beide sichtbarer - als Präsident der Bundesbank und als Mitglied im Direktorium der EZB.

Angesichts der niedrigen Zinsen und der hohen Liquidität sagen viele, es drohe Inflation. Wann wird sie zum Problem: Bei vier Prozent, bei fünf?

Asmussen: Wir haben im Moment keine Hinweise, dass die Inflation steigt. Im Gegenteil. Sie sollte im Laufe des nächsten Jahres in der Eurozone unter die Marke von zwei Prozent auf 1,6 Prozent sinken, in Deutschland nach Prognose des Internationalen Währungsfonds auf 1,9 Prozent. Auch die Erwartungen für die Jahre danach sind um unseren Zielwert von knapp unter zwei Prozent verankert. Alles was darüber liegt ist zu hoch. Sobald wir Anzeichen für steigende Inflation hätten, würden wir reagieren.

Die Zinsen werden also wieder steigen?

Asmussen: Wenn wir wachsenden Inflationsdruck sehen, werden wir reagieren. Aber das sehen wir im Moment nicht.

In der Euro-Zone gibt es in der Debatte um Rezepte gegen die Krise ein Nord-Süd-Gefälle. Die Bundesregierung betont eher Sparen und Konsolidieren, im Süden setzt man auf Wachstumsimpulse.

Asmussen: Das Denken in diesen Kategorien hilft nicht. Wir brauchen beides. Es gibt nur noch fünf Länder in der Eurozone, deren Schulden gemessen am Sozialprodukt unter 60 Prozent liegt und die damit die Maastricht-Kriterien erfüllen. Wir brauchen also auf Jahre Konsolidierung. Überall. Wir brauchen aber auch Wachstum. Aber nicht durch kreditfinanzierte Programme, die ein Strohfeuer bewirken, sondern durch Reformen, die für nachhaltiges Wachstum sorgen.

Aber in Spanien und Griechenland herrscht Massen-Arbeitslosigkeit. Die sozialen Probleme sind riesig, der soziale Strengstoff gewaltig.

Asmussen: Das ist nicht akzeptabel. Die Arbeitsmärkte müssen reformiert werden. Es bedarf dort auch einer aktiven Arbeitsmarktpolitik. Am falschen Ende zu sparen ist nur Geiz. Bei sozialen Spannungen ist es schwer, Akzeptanz für notwendige Reformen zu gewinnen.

Wie lange gibt es den Euro noch?

Asmussen: Der Euro bleibt. Sicher. Der Euro hat sich weltweit als zweitwichtigste Reservewährung etabliert. Es ist ein gutes Zeichen, dass Lettland, Litauen und Polen in den Euro wollen, wenn die Beitrittskriterien dauerhaft erfüllt sind. Ich bin insgesamt vorsichtig optimistisch. Aber der Reformeifer in der Eurozone darf nicht nachlassen.