Essen. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Werner Müller ist einstimmig an die Spitze der mächtigen Stiftung gewählt worden - fünf Jahre nachdem sein erster Anlauf scheiterte. Ein beinhart geführter Machtkampf findet damit ein Ende

Werner Müller hat es geschafft: Fünf Jahre nach dem gescheiterten Versuch, an die Spitze der von ihm erfundenen RAG-Stiftung zu rücken, ist der ehemalige Bundeswirtschaftsminister gestern vom Stiftungskuratorium zum Vorstandschef gewählt worden.

Vorangegangen ist ein heftiges, ein Jahr anhaltendes politisches Tauziehen um die Besetzung der Position, die für die Ruhrwirtschaft eine Schlüsselstellung darstellt. Der RAG-Stiftung gehören knapp 75 Prozent am Chemie-Konzern Evonik, das drittgrößte Immobilienunternehmen Deutschlands, Vivawest in Gelsenkirchen, zählt zum Einflussbereich der Stiftung wie auch derzeit noch mittelbar der fünftgrößte deutsche Energieerzeuger Steag aus Essen.

Erfinder des Modells

Die RAG-Stiftung hat den Auftrag, mit ihrem Vermögen die Ewigkeitskosten des deutschen Steinkohlebergbaus zu bezahlen, die sich allein für das Abpumpen des Grubenwassers auf 220 Millionen Euro im Jahr belaufen. Ein Viertel von Evonik ist bereits an den Finanzinvestor CVC verkauft, ein Verkauf weiterer Anteile über die Börse ist im Frühsommer zwar gescheitert, der Stiftung fließen aber derzeit knapp 320 Millionen Euro Evonik-Dividenden im Jahr zu.

Mit diesem Modell hatte der 66-jährige Müller 2007, damals als Chef der RAG und späteren Evonik, den sozialverträglichen Ausstieg aus dem hoch subventionierten Kohlebergbau ab 2018 ermöglicht. Schon damals wollte Müller an die Spitze der Stiftung wechseln, zumal damit auch der Chefposten des Evonik-Aufsichtsrates verbunden ist.

In einem beinhart geführten Machtkampf hat der damalige NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) Müller verhindert. Der frühere BP-Manager Wilhelm Bonse-Geuking machte das Rennen um den mit gut einer Million Euro dotierten Chefposten. Rüttgers hatte dem parteilosen Müller nie verziehen, dass er im Landtagswahlkampf 2005 eine Wahlempfehlung für die SPD an 100 000 RAG-Mitarbeiter verschickte.

Zudem fürchtete Rüttgers die Machtfülle der Stiftung im Revier, das für Wahlen immer noch eine entscheidende Rolle spielt. Nicht ohne Grund: Die Stiftung darf zwar laut bisherigem Verständnis der Satzung keine strukturpolitischen Maßnahmen finanzieren. Die Sicherung und Mehrung des Vermögens als „Treuhänder der öffentlichen Hand“ steht im Vordergrund. Gleichwohl aber kann die Stiftung Unternehmen oder Beteiligungen kaufen.

CDU und FDP im Land kritisierten das Entstehen einer industriepolitischen Machtzentrale nach dem Vorbild der WestLB. Teile der CDU stellten sich erneut gegen Müller. Sie sahen sich bestätigt, als der SPD-Fraktionschef im Landtag, Norbert Römer, öffentlich für Müller argumentierte und zugleich „industriepolitische Impulse“ einforderte – bis hin zur Organisation einer „fruchtbaren Verbindung“ von Evonik und dem Lanxess-Konzern durch die RAG-Stiftung.

Kritiker auch in der Industrie

Auch einige mächtige Industrieführer an der Ruhr wollten Müller verhindern: wegen befürchteter industriepolitischer Eingriffe, aber auch wegen einiger tiefsitzender Verletzungen aus der Vergangenheit. Müller hatte sich mehrfach über Gremienvorbehalte in Aufsichtsräten hinweggesetzt, hatte trickreich seine Agenda auch um den Preis der Beschädigung anderer durchgesetzt. In der Öffentlichkeit wusste Müller nur allzu gut zu punkten: Etwa mit dem spektakulären Vorschlag zum Aufschluss einer neuen Zeche im Jahr 2004.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Der Vorschlag, Müller als Vorstandschef zusammen mit Ex-NRW-Finanzminister Helmut Linssen (CDU) als Finanzchef zu installieren, stammt von Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU). NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ließ sich darauf ein, die IGBCE unter ihrem Chef Michael Vassiliadis kämpfte für Müller. Zumal dem Vernehmen nach der Wechsel von Bonse-­Geuking auf Müller bereits 2007 vereinbart gewesen sein soll.

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Allein Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) blieb bockig. Aber weder dem erkrankten Kuratoriumschef Ulrich Hartmann noch Schäuble war es gelungen, einen Gegenkandidaten aufzubieten. Zuletzt lief schon aus Gründen des Proporzes im politisch besetzten 13-köpfigen Kuratorium alles auf Müller zu: Die schwarz-gelbe Regierung bekam für einen ihrer drei frei bestimmten Kuratoren den Vorsitz des Kontrollgremiums, namentlich Ex-RWE-Chef Jürgen Großmann, und darf den Finanzchef nominieren; SPD und IGBCE setzen ihren Kandidaten Müller durch.

Beide sind wortgewaltige und selbstbewusste Unternehmensführer aus dem Revier, zuweilen mit Hang zum Barocken. Ruhrbarone leben länger.