Mülheim/Washington. Wagenpfand und Selbsteinpacken: Die Amerikaner finden es zwar noch gewöhnungsbedürftig und doch finden sie langsam Gefallen an der deutschen Einkaufskultur à la Aldi. Der größte deutsche Discounter wächst in Zeiten der Krise auch in den USA.
An die deutsche Einkaufskultur muss sich Denise Williams erst gewöhnen. «Das ist gar nicht so einfach», sagt die 39-Jährige und rüttelt an dem Einkaufswagen, in den sie eben eine Pfandmünze gesteckt hat. Hier bei Aldi in Hyattsville nahe Washington ist manches anders, als es die amerikanische Kundschaft gewohnt ist: Wagenpfand, kostenpflichtige Plastiktüten, Waren auf Paletten. Doch die Rezession treibt dem deutschen Billiganbieter in den USA die Kunden zu: Aldi profitiert von der Krise, der Konzern expandiert und bewirkt dabei eine kleine Einkaufsrevolution.
"Die anderen Läden sind mir zu teuer"
Die amerikanischen Verbraucher gelten als verwöhnt, Shopping-Tempel mit zehntausenden Produkten und umfassendem Kundenservice prägen die Einkaufslandschaft. «Die anderen Läden sind mir zu teuer», sagt Denise Williams, die alleinerziehende Mutter ist. Dass sie bei Aldi ihre Waren an der Kasse selbst in die Tüte packen und zum Auto tragen muss, ist ihr egal. In anderen US-Supermärkten gibt es für so etwas Extra-Personal. «Ich komme hierher, weil ich nicht viel Geld für Lebensmittel habe», sagt Williams.
In einer Umfrage des US-Instituts Rasmussen gaben kürzlich 51 Prozent an, künftig weniger für Konsum ausgeben zu wollen. Während viele US-Unternehmen unter der rezessionsbedingten Sparsamkeit der Kunden leiden, plant Aldi in den USA die Expansion - mit Wachstumsraten von etwa zehn Prozent jährlich. Allein 2008 kamen laut US-Firmenzentrale etwa hundert Läden dazu, in diesem Jahr wurde die tausendste Filiale eröffnet, im kommenden Jahr sollen erstmals 25 Filialen in Texas öffnen, wo Aldi derzeit ein Vertriebszentrum für 50 Millionen Dollar errichtet.
Krisengewinner Aldi
"In harten Zeiten wie dieser denken die Leute mehr nach, bevor sie Geld ausgeben», erklärt Aldi-Vizepräsidentin Joan Kavanaugh die Zuwachsraten. Aldi präsentiert sich als Krisengewinner: Anlässlich der Eröffnung von zehn neuen Filialen in Florida wies der dortige Regionalmanager kürzlich auf die steigende Arbeitslosigkeit hin und kam zu dem Schluss, dass dies wirklich «eine perfekte Zeit» für die Expansion von Aldi sei. Der Branchendienst Planet Retail schätzt, dass der Umsatz von Aldi in den USA allein im Krisenjahr 2008 um 21 Prozent auf sieben Milliarden Dollar gestiegen ist.
In ihrer Kargheit nehmen sich die Aldi-Filialen aus wie ein Stück deutscher Discount-Kultur, das ins Konsumparadies USA verpflanzt wurde. Die Läden bieten nur 1400 Produkte direkt aus dem Karton an, bekannte Marken gibt es nicht, die Läden liegen in Industriezonen am Stadtrand. «Wirklich schön ist der Laden nicht», sagt die Hausfrau Tammy Forman nach dem Einkauf in Hyattsville. «Aber es ist billig.» Im Wagen hat sie eine Flasche Ketchup liegen: Aldi hat nur eine Sorte im Angebot, dafür kostet die Literflasche nur 1,19 Dollar (0,85 Euro). Eine Tüte deutscher Marken-Gummibärchen ist für umgerechnet 0,63 Euro zu haben, ein Pfund Kaffe der Sorte «German Roasted» für 2,80 Euro.
Momentan steht Aldi in der Rangliste der US-Supermarktkonzerne nur an 25. Stelle, es zählt aber zu den am schnellsten wachsenden Ketten. Nicht jeder in den USA die Expansion positiv. Gewerkschaften werfen dem Discounter vor, ihre Arbeit zu behindern. Aldi hält dagegen und behauptet, seine Angestellten genössen «großzügige Löhne und Sozialleistungen». So werde jeder Mitarbeiter ab 20 Stunden Wochenarbeitszeit krankenversichert - anders als etwa beim US-Marktführer Wal-Mart. (afp)