Andreas muss sich konzentrieren. Rund drei Meter über dem feuchten Waldboden balanciert er auf einem dünnen Seil. Hinter ihm liegt ein Baumhaus, vor ihm eine hölzerne Plattform an einem Stamm. Andreas schwankt nach vorne und nach hinten, seine Hände klammern sich an ein Sicherungsseil über ihm. Dann endlich fängt er sich: Vier schnelle Schritte, schon steht er auf dem hölzernen Rechteck.

Kerpen (dapd-nrw). Andreas muss sich konzentrieren. Rund drei Meter über dem feuchten Waldboden balanciert er auf einem dünnen Seil. Hinter ihm liegt ein Baumhaus, vor ihm eine hölzerne Plattform an einem Stamm. Andreas schwankt nach vorne und nach hinten, seine Hände klammern sich an ein Sicherungsseil über ihm. Dann endlich fängt er sich: Vier schnelle Schritte, schon steht er auf dem hölzernen Rechteck.

Hambacher Forst ist geschrumpft

Andreas ist einer von rund einem Dutzend Braunkohlegegnern, die den Hambacher Forst bei Kerpen (Rhein-Erft-Kreis) seit Wochen besetzt halten. Sie haben unter anderem Baumhäuser gebaut, zwischen denen sie Seile gespannt haben. Andreas und die anderen Besetzer wollen verhindern, dass auch der Rest des Waldes eine Grube wird, in der der Energiekonzern RWE Braunkohle fördert. "Früher war der Hambacher Forst 6.000 Hektar groß, heute sind es nur noch 1.000", sagt er.

Andreas sitzt auf einer Couch im Camp und erzählt vom Leben im Wald. "Wir schreiben keinem vor, wie viel oder was er machen muss. Und diese Idee geht auf", sagt er. Als sie den Hambacher Forst im April besetzten, zogen sie zuerst nur eine Plattform hinauf in die Baumwipfel. Seitdem sind weitere Gebäude hinzugekommen: Sanitäranlagen, eine hölzerne Hängebrücke, Zelte am Waldboden und Baumhäuser in bis zu zehn Metern Höhe, in denen einige von ihnen leben.

Die Aktion lockt Umweltschützer aus der ganzen Bundesrepublik. So wie etwa Susanne aus Berlin, die sich in ihr blondes Haar ein gelbes Blümchen gesteckt hat. Nun steht sie in dem einstöckigen Gebäude, das die Braunkohlegegner zurzeit in ihrem Camp errichten. "Oben haben wir dann noch mehr Schlafplätze", sagt die 19-Jährige. Die Wände bauen sie aus Stroh und Holz, anschließend werden sie mit Lehm verkleidet. "Wir wollen hier überwintern", begründet Susanne den Bau des Hauses. Sie und Andreas glauben, dass das Camp noch steht, wenn der erste Schnee fällt. Aber gewiss ist das nicht, denn ihr Waldlager könnte schon bald geräumt werden.

Wenn die Bäume kahl und farblos werden, endet die Vegetationsperiode. Danach dürfen Bäume gefällt, ganze Wälder gerodet werden. RWE hat dann einige Monate Zeit, Susanne und Andreas aus dem Hambacher Forst zu vertreiben, bevor das Grün an die Zweige zurückkehrt. Bis dahin muss das Gebiet für die Bagger vorbereitet werden. Vor dem Panorama der rauchenden Kraftwerksschlote werden sie ihre staubigen Schaufelräder ins Erdreich treiben. Wenn die Vorräte 2045 erschöpft sein dürften, werden die Bagger dem Gestein mehr als 1.500 Millionen Tonnen Braunkohle abgetrotzt haben.

Allein wegen der schieren Menge fällt der Braunkohle immer noch ein wichtiger Anteil am deutschen Strommix zu. Aber die Verstromung von Braunkohle ist aus Sicht ihrer Gegner auch die klimaschädlichste Art der Stromerzeugung, weil sie viel Kohlendioxid freisetzt. Tatsächlich trug die Verbrennung von Braunkohle 2011 fast 22 Prozent zum gesamten Kohlendioxidausstoß der Bundesrepublik bei.

Doch RWE argumentiert, die Braunkohle sei ein heimischer Energieträger, der nicht subventioniert werde. Außerdem betreibe der Konzern neue, sehr effiziente Kraftwerke. Über die Protestaktion war das Unternehmen nicht gerade erfreut, tolerierte sie aber zunächst als Meinungsäußerung, sagt der Sprecher von RWE Power, Manfred Lang. Anfang Oktober wurden die Waldbesetzer aber von RWE aufgefordert, das Gelände zu räumen. Sollten sie dieser Aufforderung nicht folgen, droht dem Camp die Räumung.

Waldbesetzer fordern regenerative Energien

Bei den Waldbesetzern verfangen die Argumente pro Braunkohle erwartungsgemäß nicht. "Die Auswirkungen von Braunkohle sind so hoch, dass die Schäden nicht beziffert werden können", sagt Susanne. Stattdessen träumen die Aktivisten von regenerativen Energien aus Sonne und Wind und einer regionalen, aber dezentralen Energieversorgung.

Inzwischen haben sich immer mehr Besetzer an der Feuerstelle des Camps eingefunden, wo auch die Couch steht, auf der Susanne und Andreas sitzen. Einige tragen Dreadlocks und bunte Klamotten, ein junger Mann häkelt. Andere kochen auf einem Holzofen ihr Frühstück, das ihnen Unterstützer aus der Region gespendet haben. Es riecht nach frischem Holz. Andreas erzählt von einer erfolgreichen Baumbesetzung in Hamburg: "Das macht uns Hoffnung", sagt er. Welche Aktionen die Aktivisten für den Tag der Räumung planen, wie sie die Polizei und RWE stoppen wollen, wollen die Besetzer nicht verraten. "Vielleicht kettet sich auch jemand an einem Baum fest", sagt Andreas und grinst.

dapd