Essen/Düsseldorf. . Der Niedersachse Garrelt Duin soll die Wirtschaft in NRW prägen. Die Erwartungen an den SPD-Politiker sind hoch. Einerseits soll er als Industriepolitiker aktiv sein, andererseits lehnen große Teile der Wirtschaft eine Einmischung der Politik ab.

Am Koalitionsvertrag hat er nicht mitgeschrieben. Doch jetzt soll er das industriepolitische Gewissen der Landesregierung sein. Zunächst einmal muss der neue NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) also umsetzen, was andere formuliert haben. Das 195-Seiten-Werk hat er mittlerweile studiert, sagt der Niedersachse, der nun an Rhein und Ruhr die Industrie- und Mittelstandspolitik prägen soll. Er habe nichts darin gefunden, was er nicht vertreten könne, beteuert Duin.

Wenn Ulrich Lehner, der Präsident der Düsseldorfer Industrie- und Handelskammer (IHK), durch den Koalitionsvertrag blättert, hält er regelmäßig inne und runzelt die Stirn. Nun gut, die Industrie spielt in dem Text eine wichtige Rolle. Und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat angekündigt, die Energiewende zur „Chefinsache“ zu machen. Dennoch fällt das Urteil von Lehner verhalten aus.

„Ich hatte beim Lesen des Koalitionsvertrags gemischte Gefühle“, sagt er. „Sehr zu begrüßen“ sei zwar das Bekenntnis von SPD und Grünen zum Industriestandort NRW. „Doch wenn es im Text heißt, ,wir identifizieren die Leitmärkte der Zukunft’, dann jagt mir das ein gewisses Unbehagen ein“, erzählt Lehner. „Denn es ist nicht die Politik, die definieren sollte, auf welche Märkte die Wirtschaft setzt. Der Staat schafft die Regeln, aber er lässt den Unternehmen Freiheit. So sollte es auch bleiben.“

Duin steht ein Balanceakt bevor. Einerseits soll er als Industriepolitiker aktiv sein, andererseits lehnen große Teile der Wirtschaft eine Einmischung der Politik ab. Traditionell stehen in NRW die Branchen Energie, Stahl, Chemie und Auto im Fokus. Mit Bayer, Eon, Evonik, RWE und Thyssen-Krupp haben einflussreiche Konzerne ihre Zentralen an Rhein und Ruhr. An großen Themen fehlt es nicht: Die Stahlindustrie mit ihrem wichtigen Standort Duisburg blickt mit Sorge auf die Folgen des Atomausstiegs. Auch in die Bemühungen, das Opel-Werk Bochum zu retten, wird sich Duin einschalten müssen.

Datteln-Projekt als Symbol

Interessant sei auch, was nicht im Koalitionsvertrag angesprochen wurde, sagt Lehner, der früher Chef des Henkel-Konzerns war und heute zu den wichtigsten Aufsichtsräten Deutschlands (Telekom, Eon, Thyssen-Krupp, Porsche) gehört. „Bei vielen zentralen Themen vermisse ich klare Botschaften der Regierungsparteien“, bemängelt er. Beispiele seien der Eon-Kraftwerksneubau in Datteln und die Kohlenmonoxid-Pipeline von Bayer am Niederrhein – zwei Projekte, die angesichts von Bürgerbeschwerden vor Gericht zu scheitern drohen. „Es ist zu wenig, wenn eine Landesregierung nur zuschaut. Man kann nicht alle politischen Fragen allein den Gerichten überlassen. Im Fall Datteln und in Sachen CO-Pipeline wären klare politische Bekenntnisse hilfreich.“

Das Milliarden-Projekt von Eon ist gefährdet, weil ein Gericht den Bebauungsplan schon vor Jahren für unwirksam erklärt hatte. Die Arbeiten mussten zum Teil gestoppt werden. Das Gericht führte unter anderem an, dass Vorgaben zum Naturschutz nicht ausreichend beachtet wurden. Im Streit um das Kohlekraftwerk wird Duin rasch Position beziehen müssen. Das Datteln-Projekt gilt als Symbol dafür, wie die Landesregierung künftig Industriepolitik betreibt.