Essen. . Selbstständige sollen bald stärker vor Altersarmut geschützt werden. Im Internet formiert sich Widerstand gegen die Pläne der Bundesregierung. Die plant eine allgemeine Versicherungspflicht – mit einer Vielzahl von Ausnahmen.

Pflichtrente – ein großes Wort. In Internetforen wird es derzeit oft benutzt, um die Pläne von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zu beschreiben, oder besser: zu beschimpfen. Es geht um die Altersvorsorge von Selbstständigen. Diese soll nach den Plänen der Bundesregierung zum Muss werden – mit vielen Ausnahmen. Eine Internet-Petition hatte bis zum Stichtag 22. Mai mehr als 80 000 Unterzeichner gefunden. Der Protest ist vielstimmig, obwohl das genaue Regelwerk noch gar nicht feststeht. Eine Bestandsaufnahme.

Auf wie viele Selbstständige trifft die Pflicht zur Altersvorsorge zu?

Das Bundesministerium für Arbeit schätzt, dass drei Millionen von derzeit 4,2 Millionen Selbstständigen in Deutschland nicht in die gesetzliche Rentenversicherung oder berufsständische Versorgungswerke einzahlen. Das aber, so ein Sprecher, würde nicht bedeuten, dass das neue Gesetz auch drei Millionen Selbstständige betrifft. Die neue Regel zielt vor allem auf die unter Dreißigjährigen ab. Für 40- bis 50-Jährige sind Übergangsfristen geplant, ebenso für Existenzgründer. 40- bis 50-Jährige, die bereits fürs Alter vorsorgen, können bei entsprechendem Nachweis befreit werden.

Welche Selbstständigen blieben von der Pflicht ausgenommen?

Selbstständige, die weniger als 400 Euro im Monat verdienen, älter sind als 50 oder nur nebenberuflich tätig sind. Auch Ärzte, Rechtsanwälte und Architekten, die in berufsständischen Versorgungswerken versichert sind, sowie Mitglieder der Künstlersozialkasse sollen befreit sein. Für die aktuell etwa 260 000 pflichtversicherten Selbstständigen, vor allem Handwerker, soll eine Beitragspflicht für die gesetzliche Rente von 18 Jahren bestehen bleiben. Handwerker der Zukunft sollen nicht mehr verpflichtet sein, in die gesetzliche Rente einzuzahlen. Und: Die Vorsorgepflicht erlischt, wenn Selbstständige genug für eine monatliche Basisrente von 680 Euro einbezahlt haben.

Was beabsichtigt die Regierung mit der Vorsorgepflicht?

Laut Arbeitsministerium geht es darum, eine Generation von Selbstständigen vor Altersarmut zu bewahren und die Gesellschaft vor den daraus resultierenden Folgen. Die Altersvorsorge müsse Teil des Geschäftsmodells aller Selbstständigen sein, sagte ein Sprecher. Alles andere sei ungerecht der Solidargemeinschaft gegenüber. Diese kommt bei Altersarmut für die Grundsicherung von derzeit monatlich 680 Euro auf.

Was kritisieren die Unterzeichner der Online-Petition?

Die von Tim Wessels, Initiator der Petition, geäußerte Kritik bezieht sich vor allem auf drei Punkte: Junge Gründer könnten abgeschreckt werden, sich auszuprobieren und Firmen zu gründen. Das geplante Gesetz schränke zudem die unternehmerische Freiheit sowie die Eigenverantwortung ein. Es könne viele Selbstständige finanziell überfordern.

Was kostet die Vorsorgepflicht?

In Medienberichten und im In­ternet kursiert die Zahl von 350 bis 400 Euro inklusive Absicherung der Erwerbsminderung etwa durch Krankheit. Der Beitrag soll einkommensunabhängig sein. „Diese Zahl stammt nicht von uns“, entgegnet der Sprecher des Ministeriums. Es werde auch keine starre Regel mit Festbeträgen geben. Die Vorsorgepflicht soll von der Leistungsfähigkeit der Selbstständigen abhängig sein. In wirtschaftlicher Not könnte sie auch ausgesetzt oder gesenkt werden. Die Regierung plant keine Zwangsbeiträge in die gesetzliche Rentenkasse. Private Vorsorge soll möglich sein. „Wir wollen größtmögliche Wahlfreiheit“, sagte der Sprecher.

Wann ist mit einem Gesetzentwurf zu rechnen?

Die Unternehmensberatung McKinsey ist mit einer Machbarkeitsstudie beauftragt. Darin soll auch geklärt werden, welche Vorsorgearten anerkannt werden, etwa Immobilien oder Lebensversicherungen. Bisher ist geplant, nur nicht vererbliche, nicht übertragbare, nicht beleihbare Erträge anzuerkennen. Die Alterssicherung, so ein Eckpunktepapier, müsse als Rente ausgezahlt werden. Noch im zweiten Halbjahr 2012 soll ein Gesetzentwurf vorliegen, so das Ministerium. 2013 soll die Regel verabschiedet werden.