Essen. . Der Thyssen-Krupp-Konzern kommt nicht zur Ruhe. Milliardenschwere Verluste mit den neuen Stahlwerken in Brasilien und Alabama haben zur Strategiewende bei dem Essener Konzern geführt. Die beiden Übersee-Werke stehen zum Verkauf.

Der Essener Industriekonzern Thyssen-Krupp zieht nach der desaströsen Entwicklung der neuen Stahlwerke in Brasilien und im US-Bundesstaat Alabama die Notbremse. Der Konzern prüfe für beide Stahlwerke „strategische Optionen in alle Richtungen“ – von einer Partnerschaft bis hin zum Verkauf, sagte am Dienstag Konzernchef Heinrich Hiesinger in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz. Am Vormittag hatte der Aufsichtsrat die entsprechenden Beschlüsse gefasst, die Hiesinger als „zukunftsweisende Nachricht“ bezeichnete.

Kein Wunder: Der Konzern braucht dringend einen Befrei­ungsschlag. Hiesinger kommt mit dem Umbau des Unternehmens, den geplanten Verkäufen und der Umstrukturierung der Organisation zwar immer weiter voran, das Unternehmen aber bei den messbaren Zahlen nicht vom Fleck. Gestern morgen schickten die veröffentlichten Quartalszahlen die Thyssen-Krupp-Aktien zunächst mit mehr als fünf Prozent in den Keller. Da half es auch nicht, dass Hiesinger von einer „durchschrittenen Talsohle“ bei der Ergebnisentwicklung sprach, von einem „verhalten optimistischen“ Blick auf die zweite Jahreshälfte des Geschäftsjahres 2011/2012 bis Ende September.

Milliardenschwere Abschreibungen vor allem auf die beiden Stahlwerke hatten dem Unternehmen 2010/2011 einen Verlust von 1,8 Milliarden Euro eingetragen, damals ein Schock. Den heilte aber die am Dienstag veröffentlichte Prognose, im Gesamtjahr mit einem mittleren dreistelligen Millionbetrag beim Ergebnis vor Abzug der Zinsen und Steuern (Ebit) abzuschneiden, keineswegs. Marc Gabriel, Analyst beim Bankhaus Lampe, rechnet unterm Strich mit einem Verlust in Höhe von 750 Millionen Euro. Damit müsse Thyssen-Krupp eine Dividende aus der Substanz zahlen. Ein Befreiungsschlag also musste her, und den könnte die Nachricht vom möglichen Ende des Engagements in den brasilianischen Mangroven-Sümpfen und den USA liefern nach dem Motto: Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Nach Bekanntgabe des Plans erholte sich die Aktie deutlich und notierte am späten Nachmittag mit zwei Prozent im Plus.

„Thyssen-Krupp ohne Stahl wäre wie ein Wohnzimmer ohne Sofa“

Hiesinger erklärte die Kehrtwende mit stark veränderten Rahmenbedingungen wie gestiegenen Lohnkosten in Brasilien und einer Aufwertung der Landeswährung Real. Gleichwohl ist der Schritt spektakulär: Noch im August 2011 sagte Hiesinger dem „Spiegel“, die Werke würden mit 400 Millionen bis drei Milliarden Euro bewertet, investiert habe der Konzern zwischen acht und zehn Milliarden Euro. „Wir können also nur gewinnen“, so Hiesinger damals. Nun also die Wende, die ein Abschreibungsrisiko von mehreren Milliarden Euro beinhaltet: Die beiden Stahlwerke stünden noch mit knapp sieben Milliarden Euro in den Büchern, sagte der Vorstandschef, der von „einer großen Betroffenheit im Aufsichtsrat“ sprach. Peter Urban, Finanzchef des Stahlgeschäftes in Europa und Übersee, tritt bis Ende September zurück.

Hiesinger betonte, das Hochfahren der Anlagen laufe planmäßig und solle bis Jahresende abgeschlossen sein. Das europäische Stahlgeschäft stünde aber keinesfalls zur Disposition. Obwohl das operative Ergebnis (Ebit) im zweiten Quartal von 300 auf 21 Millionen eingebrochen ist, stünde Steel Europe besser da als die Wettbewerber, die mit Verlusten kämpften. Die Technologie-Bereiche des Konzerns haben hingegen einigermaßen stabile Ergebnisbeiträge abgeliefert. Unter dem Strich stand zum Halbjahr ein Verlust von 1,1 Milliarden Euro.

Konzernbetriebsratschef Willi Segerath stützt den Thyssen-Krupp-Vorstand. „Die Verluste in Brasilien und Alabama sind nicht zu amortisieren. Sie könnten nicht nur die Stahlsparte, sondern den gesamten Konzern gefährden“, sagte Segerath dieser Zeitung. Der Betriebsratschef sprach von „Managementfehlern“, die zu dem Desaster beim Stahlwerksbau in Brasilien geführt hätten. Auch Segerath sieht in dem möglichen Verkauf von Steel Americas keinen Einstieg in den Ausstieg aus dem Stahlgeschäft. „Thyssen-Krupp ohne Stahl wäre wie ein Wohnzimmer ohne Sofa.“