Berlin. Spione aus Rußland und China «infiltrieren» den Energiesektor in Deutschland. Besonders stark sei das Interesse an Umwelttechnik. Grund für das verstärkte Ausspähen deutscher Unternehmen sei der Wirtschaftsabschwung in den Staaten. Teilweise tarnen sich die Spione als Kaufleute.

Russen und Chinesen versuchen, die Wirtschaftskrise in ihren Ländern durch eine erheblich verstärkte Spionage in Deutschland auszugleichen. Der starke Mann Russlands, Premier Wladimir Putin, und auch Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao haben nach Informationen der Nachrichtenagentur ddp ihre Spionagedienste «angewiesen», den durch die globale Krise in ihren Staaten verursachten Wirtschaftsabschwung durch ein «wesentlich intensiveres Ausspähen deutscher Unternehmen wettzumachen», war in Geheimdienstkreisen zu erfahren.

Interesse an alternativen und regenerativen Energien

Der Leiter der Spionageabwehr beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Burkhard Even, wies in Zeitungsberichten darauf hin, dass vor allem die Russen die deutsche Industrie auf dem Energiesektor «infiltrieren» würden. Moskau sei zur Steigerung der Energieeffizienz vor allem an Informationen über alternative und regenerative Energien interessiert. Der russische Auslandsgeheimdienst SWR (Sluschba Wneschnej Raswedki - Dienst der Auslandsspionage) hat nach Angaben von Even nicht nur Konzerne, sondern vermehrt auch kleine und mittelständische Unternehmen in der Bundesrepublik im Auge.

Sowohl die Russen als auch die Chinesen sind nach ddp-Informationen darauf aus, ihre Spione auch als Firmengründer oder Gesellschafter in Unternehmen zu etablieren. So erlangen die Späher «intime Einblicke» in die deutsche Wirtschaft. Darüber hinaus spähten die russischen und chinesischen Dienste gezielt verschuldete Betriebe aus. Als Kaufleute getarnt, machten die Spione den Firmeninhabern, die in der Kreide stehen, günstige Vertragsabschlüsse schmackhaft, wenn diese oder jene Bitte um Mitteilung aus dem Hightech-Bereich erfüllt werde. Welcher Geschäftsmann erfülle angesichts drohender Insolvenz nicht eine solche Bitte, gab ein Geheimdienstexperte zu bedenken.

"Wie ein Staubsauger"

Die Chinesen haben nach den jüngsten Erkenntnissen auch an deutscher Umwelttechnik großes Interesse. China hat für die Umweltgestaltung bisher wenig getan und sei jetzt dabei, dieses Defizit besonders mit Hilfe der Spionage in Deutschland zu überwinden. Im Übrigen versuchten die Chinesen «wie ein Staubsauger» auf allen wirtschaftlichen Gebieten in der Bundesrepublik «aufzunehmen, was nur zu bekommen ist», erläuterte ein Angehöriger des Verfassungsschutzes. In Deutschland leben an die 80 000 Chinesen, von denen eine beachtliche Zahl ihre Heimat im Auftrag des chinesischen Geheimdienstes mit «illegalem Wissen» aus der Bundesrepublik versorgt.

Inzwischen leben nach den Hinweisen der Verfassungsschützer auch an die vier Millionen zugewanderte Russen in Deutschland. Es sei nicht möglich, auch nur annähernd einen Überblick darüber zu gewinnen, wie viele Agenten darunter sind, stellten Fahndungsexperten fest. Auch unter den Touristen aus Russland und China, die ständig in Deutschland einreisen, werden Spione vermutet. Eine bessere Tarnung für das Geschäft der Spionage könne es kaum geben, meinte ein deutscher Abwehrmann. «Wir tappen da immer im Dunkeln», sagte er.

Beobachter der Spionageszene berichten von einer «merkwürdigen Zusammenarbeit» russischer und chinesischer Geheimdienste bei der Wirtschaftsspionage. Seit geraumer Zeit würden Russen und Chinesen auf diesem Sektor ihre Spionagenetze «in gewisser Weise» aufeinander abstimmen, um gemeinsam gegen westliche Länder, auch gegen Deutschland, vorzugehen.

Exzessives Vorgehen auf elektronischem Gebiet

Im globalen Ringen um Marktanteile und technologische Dominanz in der Welt hätten Moskau und Peking eine «gegenseitige Hilfe bei der Ausforschung westlicher Hochtechnologie vereinbart», war zu hören. Besonders China betreibe seine Wirtschaftsspionage in der Bundesrepublik auf dem elektronischen Gebiet «exzessiv». Die Chinesen verfügen über das größte Agentennetz mit über einer Million Mitarbeiter.

Trotz aller Telefon- und Kommunikationsüberwachung, Satellitenbeobachtungen und Trojanern in den Computern spielen gerade bei der Wirtschaftsspionage heutzutage wieder die Kontakte «von Mensch zu Mensch» eine beachtliche Rolle, berichtete ein Geheimdienstler. Mindestens drei Viertel der Erkenntnisse würden auf diesen Wegen gewonnen. Um an sensible Informationen heranzukommen, würden die Geheimdienste der Russen und Chinesen zunehmend über menschliche Quellen fündig. (ddp)