Düsseldorf. . Ausufernde Vorgaben bei der Ausschreibung von Strecken im Schienen-Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen kritisiert die Deutsche Bahn Regio. Die Regelungswut koste das Unternehmen Millionen Euro und hemme das Bemühen um mehr Mobilität, so Geschäftsführer Heinrich Brüggemann.

Heinrich Brüggemann lässt zwei Aktenordner auf den Schreibtisch fallen. Sie dienen als Beweis für seine These: Der Öffentliche Personennahverkehr auf der Schiene, sagt der Geschäftsführer von Deutsche Bahn Regio NRW, leide unter ausufernder Bürokratie. In den Ordnern sind Bewerbungsunterlagen für eine der vielen Nahverkehrsstrecken abgeheftet, die aktuell in NRW in die Ausschreibung gehen. Schriftsätze eines einzigen Vertrages, mehrere Hundert Seiten. Es fällt das Wort „Fehlentwicklung“.

Brüggemann, ein kleiner, stämmiger Mann, redet gern über Verkehrsströme. Auf seinem Computer-Bildschirm prangt ein Foto: Es ist zweigeteilt, zeigt oben eine volle Autobahn, unten einen Zug auf einer Brücke. „Darum geht es, das treibt mich an“, sagt der 59-Jährige im Gespräch mit dieser Zeitung. Er wolle den Wettbewerb zwischen Schiene und Straße nicht verlieren.

Seit 15 Jahren ist Brüggemann Eisenbahner. Er hat daran mitgewirkt, den Staatskonzern Bahn in die Gegenwart zu führen. Mitte der 1990er-Jahre sprach dieser noch von „Beförderungsfällen“, wenn er Kunden meinte. Seit 16 Jahren muss er sich dem Wettbewerb stellen. Das hat die Politik so verordnet – die deutsche wie die europäische. „Das muss man erst mal begreifen, erst mal den Druck verspüren, produktiver werden zu müssen“, sagt Brüggemann. Wettbewerb bedeute ja, ums Geschäft fürchten zu müssen, um die Zukunft, um Arbeitsplätze. Vor der Liberalisierung gehörte der Schienenverkehr der Bahn allein.

Verträge über etwa acht Prozent aller Strecken in Nordrhein-Westfalen hat sich DB Regio in den letzten Wochen gesichert, bis 2029. Die Haard-Achse zwischen Münster, Essen und Mönchengladbach, die S-Bahn-Linien 5 und 8 zwischen Hagen, Dortmund, Gladbach. Das Auftragsvolumen umfasst mehrere Hundert Millionen Euro.

Es geht um viel Geld, allein der Bund überweist jährlich 800 Millionen Euro

Im NRW-Markt ist so viel Bewegung wie nie: 85 Prozent der Gesamtleistungen von etwa 100 Millionen Zugkilometern pro Jahr werden bis 2018 ausgeschrieben. „Es sind spannende Zeiten. Sie sind anstrengend für uns und unsere Mitbewerber“, sagt der Regio-NRW-Chef. Es geht um viel Geld. Allein der Bund überweist jährlich etwa 800 Millionen Euro für den Schienen-Nahverkehr in NRW.

DB Regio hat noch immer einen Marktanteil von 70 Prozent, setzte 2011 eine Milliarde Euro um und beschäftigte 3800 Menschen. „Ich glaube, wir sind an einem Punkt angekommen, wo ich sagen kann: Wir haben verstanden“, so Brüggemann. DB Regio habe an Qualität zugelegt, die Kosten im Griff. „Und wir verdienen Geld.“ Es gebe nicht nur begeisterte Kunden, deren Zufriedenheit aber sei gestiegen.

Dass sich die Bahn mit Händen und Füßen gegen ihre Konkurrenz wehre, zum Teil mit unlauteren Mitteln, will Brüggemann so nicht gelten lassen. Am Ende buhlten auch nicht nur private gegen öffentliche Unternehmen um Aufträge. Die größten von derzeit elf Mitbewerbern von DB Regio seien im Besitz von Staatsbahnen. Die Franzosen, die Niederländer, die Italiener – sie wollten in Deutschland Fuß fassen. „Das ist ein Stück der Wahrheit.“

Der Streit mit dem Verkehrsverbund Rhein Ruhr (VRR) über angeblich schlechte Leistungen, für Brüggemann ist er erledigt. Dabei sei es vor allem ums Geld gegangen. Dass die Europäische Union weiter nach unerlaubten Subventionen sucht, die in Nordrhein-Westfalen geflossen sein könnten, lässt ihn kalt. „Da ist nichts.“ Die Zukunft gehöre dem Wettbewerb. Punkt. Brüggemann will lieber nach vorn schauen – auf die Qualität des Öffentlichen Nahverkehrs.

Ganze Branche müsse gegen Detail-Versessenheit vorgehen

Wettbewerb ist Pflicht

Der Bundesgerichtshof hat im Februar 2011 am Beispiel NRW grundsätzlich entschieden, dass Strecken im Schienen-Nahverkehr im Wettbewerb ausgeschrieben werden müssen. Das Marktvolumen in Deutschland betrug im Jahr 2010 etwa 8,6 Milliarden Euro.

Der Regio-NRW-Chef fordert den Abbau von Bürokratie im Wettbewerb. Sie sei zu teuer und gehe zu Lasten des Betriebs. Die Teilnahme an einer Ausschreibung koste sein Unternehmen mittlerweile etwa zwei Millionen Euro. Die Branche als Ganze müsse gegen die Detail-Versessenheit der Verkehrsverbünde vorgehen, um den wachsenden Aufgaben beherrschen zu können. „Die Zahl der Kunden wird steigen, um zehn Prozent plus X in den kommenden Jahren. Wir müssen eine Diskussion anzetteln über Tarifstrukturen, über den Abbau von Zugangshemmnissen für Kunden.“ Dabei gehe es nicht um zusätzliches Geld, sondern darum, veraltete Grundsätze zu verlassen. „Wenn wir das System nicht neu denken, dauert es bis zum Jahr 3100, bis wir aus dem Tarif-Dschungel herausfinden.“

Brüggemann will den Nahverkehr auf der Schiene durch Wachstum absichern. 2017 fallen weitere Bundeszuschüsse weg, Subventionen. Dann drohe ein Verlust von Mobilität. „Mobilität ist für NRW ein Lebenssaft“, einer wie gute Bildung. „Sie braucht in der Politik einen neuen Stellenwert.“