Essen. . Wie lange sollen die Deutschen arbeiten müssen, ab wann erklärt der Staat ihren Ruhestand für wohl verdient? In Deutschland ist eine Diskussion darüber entbrannt, ob die Rente mit 67 sinnvoll ist. Die einen wollen die Regelung abmildern, andere drängen auf eine Verschärfung.

Wie lange sollen die Deutschen arbeiten müssen, ab wann erklärt der Staat ihren Ruhestand für wohl verdient? Diese Frage hatte eine Große Koalition 2006 eigentlich beantwortet. Weil die Menschen in Deutschland immer älter werden und weniger Junge nachkommen, sollen sie länger arbeiten. Doch nun, da die schrittweise Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre begonnen hat, entbrennt die Diskussion von neuem. Und wieder prallen soziale und mathematische Argumente aufeinander: Politiker aus SPD und CSU fordern eine Aussetzung des Gesetzes, Rentenexperten eine Verschärfung.

Das stärkste Gegenargument ist ein sozialpolitisches. Wenn die Menschen länger arbeiten sollen, müssen sie auch die Chance dazu haben. Tatsächlich hat von den heute 60- bis 64-Jährigen aber nur jeder Vierte eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Das sind zwar deutlich mehr als vor einigen Jahren, aber immer noch viel zu wenig, meinen etwa die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und CSU-Chef Horst Seehofer. Nahles meint, es müssten doppelt so viele sein.

Doch wie bemisst man eine solche Grenze und wie erreicht man sie? Das offensichtliche Problem ist, dass ältere Arbeitslose nach wie vor kaum Chancen auf eine neue Stelle haben. Statistisch sind sie aber nicht die entscheidende Größe: Von den Neurentnern im Jahr 2010 kamen 7,5 Prozent aus Arbeitslosigkeit oder Altersteilzeit. Dass die wenigsten bis 65 arbeiten, liegt vor allem an der großen Zahl von Frührentnern.

Schöne Aussichten für künftige Rentner

Fast jeder zweite Neurentner nahm 2010 Abschläge in Kauf, um sich früher zur Ruhe setzen zu können. Die Politik kann ihnen weder in die Köpfe schauen, also wissen, ob sie dazu gedrängt wurden oder freiwillig auf Geld verzichten, um ihren Lebensabend vorzuziehen. Und sie kann niemandem verbieten, früher in Rente zu gehen. Gleichzeitig ist vorzeitiger Ruhestand noch immer das Mittel Nummer eins, wenn es darum geht, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Damit sind die Möglichkeiten der Politik sehr begrenzt, die Erwerbstätigenquote der Älteren anzuheben.

Aus mathematischer Sicht ist die Rentenkasse für derlei Argumente ohnehin nicht zugänglich. Ihre Probleme durch die Alterung der Gesellschaft kommen so oder so. Eine Vergleichszahl dazu soll genügen: 1960 bezogen die Rentner in Deutschland im Durchschnitt 9,9 Jahre ihr staatliches Ruhegeld, 2010 fast doppelt so lang. Mit jedem weiteren Jahrzehnt erhöht sich die Lebenserwartung um etwa 1,5 Jahre. Das sind schöne Aussichten für die künftigen Rentner, aber große Herausforderungen für die Rentenversicherung.

Rentenprivileg soll gestrichen werden

Deshalb fordert deren Vorstand Alexander Gunkel auch nicht mehr Ausnahmen von der Rente mit 67, sondern weniger. So dürfen Menschen nach 45 Versicherungsjahren weiter abschlagsfrei mit 65 in Rente gehen. Das wird die Beitragszahler nach Expertenschätzungen ein bis zwei Milliarden Euro jährlich kosten. Immerhin jeder vierte der heutigen Rentner kommt auf diese 45 Versicherungsjahre. „Dieses Rentenprivileg sollte gestrichen werden“, sagt Gunkel.

Auch hier prallen Mathematik und Sozialpolitik aufeinander. Wer 45 Jahre gearbeitet hat, wird eine ungekürzte Rente nicht als Wohltat, sondern als überfällig empfinden. Deshalb hat die Große Koalition die Ausnahme für „besonders langjährige Versicherte“ eingeführt. Doch die Versicherung wiegt jeden Monat in Geld auf, er kostet sie 0,3 Prozent der jeweiligen Rente. Deshalb müssen Menschen, die nicht auf 45 Versicherungsjahre kommen, einen vorzeitigen Ausstieg teuer erkaufen: Wer ein Jahr früher aufhört, verzichtet auf 3,6 Prozent seiner Rente.

Risikogruppe Frauen

Die größte Risikogruppe, wenn es um künftige Altersarmut geht, hat von der 45-Jahres-Ausnahme ohnehin kaum etwas: Die Frauen, die 2010 in Altersrente gingen, kamen im Durchschnitt auf 30 Versicherungsjahre, zehn Jahre weniger als die Männer. Selbst langjährig versicherte Frauen (mindestens 35 Jahre) kommen nur auf eine Monatsrente von durchschnittlich 597 Euro, Männer auf fast das Doppelte (1007 Euro).

Da die meisten Geringverdiener von heute ebenfalls Frauen sind, ist die Altersarmut von morgen weiblich. Das zu verhindern, ist eher Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik als der Rentenversicherung.