Essen.. Der Essener Stromriese RWE ächzt unter der Energiewende. Der Konzern muss auf der einen Seite Milliarden in Erneuerbare Energien investieren, doch auf der anderen Seite drücken Schulen. Strategiechef Leonhard Birnbaum soll die nötige Balance finden.

Die Energiewende gerät für den Essener Stromriesen RWE zum Drahtseilakt. Es gilt, im Bereich Erneuerbare Energien an den richtigen Stellen aufzuholen. Dafür muss aber mächtig investiert werden. Auf der anderen Seite drücken den Konzern Schulden, die Aktie ist nach wie vor im Tiefflug, die Energiepolitik hierzulande erscheint den Strategen im RWE-Turm zu wenig berechenbar. Nach den mageren Halbjahreszahlen ist klar: „Wir müssen verkaufen und wir werden verkaufen. Allerdings nicht an jeden und um jeden Preis“, sagt RWE-Vorstand Leonhard Birnbaum im Gespräch mit dieser Zeitung.

Nicht alles um jeden Preis, aber durchaus bedeutendes Vermögen wie zuletzt die Übertragungsnetzgesellschaft Amprion. 700 Millionen Euro soll der Verkauf von 75 Prozent minus eine Aktie gebracht haben. Das ist nur der Anfang, denn die Essener müssen sich von mehr Tafelsilber trennen als ihnen lieb ist. 11 statt 8 Milliarden Euro lautete das Erlösziel seit diesem Sommer. Birnbaum ist als Chefstratege des Konzerns derjenige, der auf dem schmalen Grad zwischen Investition und Verkauf die richtige Balance halten soll.

Auch durch mehr Effizienz im eigenen Haus. 1,5 Milliarden Euro Einsparpotenzial schweben dem Vorstand vor, und zwar, anders als bei Mitbewerber Eon, ohne laut über personellen Kahlschlag zu sinnieren. Konzernchef Jürgen Großmann hatte tiefen Einschnitten ins Personaltableau jüngst eine Absage erteilt. Dennoch wird sich die Mitarbeiterzahl, trotz noch bis Ende 2012 geltender Beschäftigungssicherung, reduzieren. Um rund 1000 Mitarbeiter bei RWE-Power, 2000 bei N-Power in Großbritannien, nennt der Stratege Zahlen. Doch dies geschehe im Dialog mit den Betriebsräten. Birnbaum: „Effizienz bleibt ein Dauerthema, aber Stellenabbau ist kein Selbstzweck.“

„Es gibt keine Strategie gegen Deutschland“

„In Deutschland ist das Thema Kernenergie strategisch gesehen durch“, behauptet Birnbaum. Aber auch die Beteiligung am AKW Borssele in Zeeland (Niederlande) mag der 44-Jährige nicht überbewerten.

Auch wenn der kurzfristige Atomausstieg RWE in Bedrängnis bringt. „Es gibt keine Strategie gegen Deutschland. Der Großteil unserer Investitionen fließt in die deutschen Anlagen, weil dies unser wichtigster Markt ist“, unterstreicht Birnbaum, allerdings: Überproportionales Wachstum sei nur noch im Ausland möglich. Deshalb zählt Osteuropa zu den vier Wachstumsfeldern, die RWE definiert hat. Hinzu kommen der Handel mit Energie, die Förderung von Gas und Öl – sowie der Ausbau der Erneuerbaren Energien. So ist RWE Innogy, die Ökostrom-Konzerntochter, nicht von Kürzungen bei den Investitionen betroffen. Birnbaum: „Wir werden in unserer schwierigen Situation weiter auf hohem Niveau in die Erneuerbaren Energien investieren.“

Zukunft heiße für RWE jetzt nicht mehr Atom, sondern Biomasse oder Wind. „Wir werden als Konzern grüner werden und europäischer“, sagt Birnbaum, wenn er an die Geschäftsfelder in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden denkt. Im englischen Tilbury versucht der Konzern gerade ein Kohle- zum Ökokraftwerk umzufunktionieren. Dort sollen zunehmend die Holzpellets verfeuert werden, die seit dem Frühjahr das neue Werk im US-Staat Georgia produziert. Dass die Produktion im größten Plantagenholz-Hackschnitzelwerk der Welt besser als erwartet läuft, ist nicht nur für die Amortisation der investierten 120 Millionen Euro gut. Jeder Pelletschnipsel macht sich in der CO2-Konzernbilanz positiv bemerkbar.

„Wir brauchen keinen Ankerinvestor, der uns unter die Arme greift“

Aber selbst Erfolg versprechende Projekte wie Tilbury stehen bei RWE offenbar zur Disposition. „Wenn ich Kapitalknappheit habe, muss ich genau überlegen, wo ich investieren will. Für uns sind aber nicht die Marktanteile entscheidend, sondern die Ergebnisse“, beschreibt Birnbaum den Weg. Gerüchte, dass Gazprom als Großinvestor bei RWE einsteigt, kommentiert Birnbaum so: „Wir brauchen keinen Ankerinvestor, der uns unter die Arme greift.“ Allerdings wird das anvisierte Joint Venture mit dem russischen Gasriesen zum Bau und Betrieb von Kraftwerken immer wahrscheinlicher. Offenbar gestalten sich die Verhandlungen vielversprechend. Zwar seien noch keine einzelnen Anlagen ausgewählt, doch RWE könnte eine Erzeugungsleistung von rund fünf Gigawatt in die Partnerschaft einbringen.

Das Joint Venture könnte eine Art Vorbote für das RWE von übermorgen sein. Leonhard Birnbaum sieht in zehn Jahren nicht nur ein grüneres RWE, sondern auch ein bunteres mit viel mehr Partnerschaften an viel mehr Stellen. „Ich freu’ mich schon drauf. Es ist gut, wenn man etwas gestalten kann.“