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Als hätte Wladimir Putin einen direkten Draht zu Petrus. Just an dem Tag, an dem der russische Ministerpräsident den Milliardendeal zwischen dem US-Energieriesen Exxon und Rosneft zur Ausbeutung neuer Gas- und Ölvorkommen in der russischen Arktis verkündet, melden deutsche Polarforscher: Das arktische Meereis ist auf dem Rückzug. Freie Fahrt also für Tanker und Bohrinseln in eine bislang unzugängliche Re­gion. „Es tun sich Horizonte auf“, frohlockte Putin treffend bei der Vertragsunterzeichnung mit Exxon-Boss Rex Tillerson in Sotschi. Wissenschaftler und Umweltorganisationen aber sind entsetzt.

Das Abkommen über 3,2 Milliarden Dollar sieht die Erschließung von Lagerstätten in der arktischen Karasee sowie im Schwarzen Meer vor. Damit erhält Exxon Mobil als weltgrößtes Energieunternehmen Zugang zu russischen Gas- und Ölvorkommen.

Der britische Rivale BP, der sich lange um dieses Geschäft bemüht hatte, bleibt außen vor. Rosneft vermutet, dass in der Karasee nördlich von Sibirien etwa 36 Milliarden Barrel Öl liegen. Insgesamt werden in der Region Vorkommen von etwa 110 Milliarden Barrel vermutet. Das wäre ein Vielfaches der Exxon-Reserven weltweit, heißt es.

Der Klimawandel hilft

Die Bohrungen sollen 2015 beginnen. Aus eigener Kraft wären die Russen nicht in der Lage, ihre Schätze zu heben. Im Gegenzug werden dem russischen Staatskonzern Beteiligungen an Exxon-Projekten in den USA angeboten, im Golf von Mexiko und in Texas.

Der Klimawandel spielt den Ölmultis in die Hände. Zum fünften Mal in Folge registrierte das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) einen rekordverdächtigen Rückgang des Meereises in der Arktis. In diesem Sommer können daher sowohl die Nordost-Passage im Norden Russlands als auch die Nordwest-Passage befahren werden. Ein Zustand, der Begehrlichkeiten weckt, wie die Wissenschaftler wissen.

Aufbruchstimmung

„Es ergeben sich durch die Eisschmelze ganz neue Möglichkeiten, die Arktis kommerziell zu nutzen“, sagt Rüdiger Gerdes, Meeresforscher und Eisexperte am AWI, im Gespräch mit dieser Zeitung. Ein bislang durch das Eis blockierter Zugriff auf Ressourcen werde nun möglich, „und zwar nicht nur auf dem Meeresboden, sondern auch an Land“, sagt Gerdes. „Denn jetzt gibt es auch Schifffahrtswege zum Transport von Material und Rohstoffen.“

Ein Fünftel der weltweit unerschlossenen Rohstofflagerstätten werde in der Nordpolregion vermutet. Schon jetzt registrieren Gerdes und seine Kollegen eine Aufbruchstimmung in der Wirtschaft – das Interesse an Meereis-Vorhersagen sei spürbar gestiegen.

Große Risiken

Zugleich aber erfüllen ihn die Pläne der Ölkonzerne mit Sorge. „Es gibt große Risiken bei der Öl- und Gasausbeutung in diesen extremen Regionen. Unfälle werden sich nicht vermeiden lassen“, glaubt Gerdes. Bohrungen sind vor allem im kurzen arktischen Sommer möglich. Käme es bei den Ar­beiten zu einem Leck – wie im Golf von Mexiko im letzten Jahr – müsste es vor dem Winter geschlossen werden, denn sonst könnte das Erdöl unter dem Eis ungehindert austreten. Auch treibende Eisberge könnten Plattformen bedrohen. Zwar ist die Karasee im Vergleich zum Golf von Mexiko eine flache Wanne, doch „ob es technisch möglich wäre, ein Ölleck durch die Eisdecke hindurch zu bekämpfen, weiß heute keiner“, sagt Gerdes.

Das verletzliche Ökosystem der Arktis ist ein weiterer Grund, warum Naturschützer eine Ölpest im Nordpolarmeer so sehr fürchten. In der Kälte der Arktis wird Öl auf natürlichem Wege nur äußerst langsam abgebaut. Die Folgen der Exxon-Valdez-Katastrophe in Alaska seien noch heute zu sehen, obwohl dort 1989 „nur“ ein Tanker havarierte, sagt Jörg Feddern, Energieexperte von Greenpeace.

Umweltsünden

„Das Ökosystem hat sich dort immer noch nicht vollständig erholt.“ Zudem sei Russland nicht gerade bekannt für strenge Umweltauflagen. So wurde die Komi-Region im Nordwesten des Landes durch die Ölförderung Jahrzehnte lang systematisch verseucht, weiß Feddern. „Lasst die Hände weg von der Arktis“, fordert er daher kategorisch. Es klingt wie Schlauchboot gegen Supertanker.