Berlin/Essen. . Reserven aus Kohle- und Gaskraftwerken sollen im Winter Stromausfälle verhindern. Die Bundesnetzagentur rät deshalb auch zum Weiterbetrieb der alten drei Kraftwerksblöcke in Datteln.

Nun bloß keine Euphorie aufkommen lassen, darum ging es Matthias Kurth. Der Präsident der Bundesnetzagentur hatte soeben verkündet, dass ein Atomreaktor in Deutschland als Kaltreserve unnötig ist. Also stellte Kurth am Mittwoch in Berlin klar, dass es „völlig falsch“ wäre, Entwarnung für die Stromversorgung zu geben. Die Situation im Stromnetz bleibe noch über Jahre „angespannt“.

Nach dem Aus für die sieben Altmeiler plus Krümmel musste die Netzagentur auf Geheiß der Regierung prüfen, ob Deutschland im Winter 2012 und 2013 auf ein Reserve-AKW angewiesen ist. Als brenzlig gelten windstille, sonnenfreie Tage mit großem Strombedarf. Es ging etwa um die Frage, ob dann im indus­triereichen Süddeutschland genug Strom vorhanden ist. Dort sind fünf der acht Altmeiler vom Netz gegangen. Massive Stromtransporte könnten die Leitungen überlasten und zum Blackout führen.

Nun hat die Netzagentur mit Ach und Krach Stromreserven aus alten Gas- und Kohlekraftwerken im Süden zusammengekratzt. Im Notfall könnten das Großkraftwerk 3 in Mannheim, das Kraftwerk 2 in Mainz-Wiesbaden, Block C der Anlage in Ensdorf sowie die Mineralölraffinerie Oberrhein und das Reservekraftwerk Freimann in München bis zu 1009 Megawatt zusätzlichen Strom erzeugen. Anlagen aus Österreich könnten weitere 1075 Megawatt liefern, so dass eine Reserve von 2084 Megawatt einen Blackout verhindern könnte. Laut Netzagentur sind extreme Tage für die Netzbetreiber nun „gerade noch beherrschbar“. Dazu müssen sie aber stark in den Strombetrieb eingreifen und Reserveanlagen im Notfall anweisen, Energie zu erzeugen. Die Mehrkosten für die eigentlich unwirtschaftlichen Reservekraftwerke müssten die Verbraucher über die Netzentgelte bezahlen.

Grüne loben Absage an Atommeiler

Bärbel Höhn (Grüne) lobte die Absage an ein Reserve-Atomkraftwerk. „Aber stattdessen klimaschädliche Kohlekraftwerke hochzufahren ist keine vernünftige Lösung“, sagte Höhn.

Ob die Alt-Anlagen wirklich gebraucht werden, ist offen. Kurth sagte: „Wenn wir einen milden Winter haben, muss vielleicht keines der Kraftwerke laufen. Wir können es uns aber nicht erlauben, weitere Kapazitäten vom Netz zu nehmen.“ Diese Einschätzung teilt man beim Netzbetreiber Amprion. „Wir werden alle Hände voll zu tun haben, um die Sicherheit zu gewährleisten“, so ein Sprecher.

Um das Netz stabil zu halten, nimmt Kurth die NRW-Landesregierung in die Pflicht. Er riet ihr „dringend“ dazu, den Weiterbetrieb der Blöcke 1 bis 3 im Dattelner Kraftwerk zu genehmigen, bis Block vier, dessen Bau Gerichte gestoppt haben, anfährt. „Die Kraftwerke müssen nicht rund um die Uhr laufen, sie sollten aber betriebsfähig sein“, sagte Kurth.

Das NRW-Umweltministerium signalisierte gestern grundsätzliche Bereitschaft für einen eventuellen Weiterbetrieb der alten Blöcke, „um die Netzstabilität zu gewährleisten“. Allerdings geht die Landesregierung davon aus, dass bis Ende 2012, wenn die Blöcke eigentlich abgeschaltet werden müssen, neue Kraftwerks- und Netzkapazitäten in NRW aufgebaut sein werden. Man könne den Weiterbetrieb aber auch dulden.

Sorgen um den Bahn-Strom

Die Verzögerungen beim Bau von Block 4 bereiten Kurth mit Blick auf die Bahn Sorgen. Sie bezieht einen Teil ihres Stroms aus Datteln. Gibt es hier Engpässe, könnte es sein, dass die Bahn im Winter 2012/13 ihren Strom aus Süddeutschland beziehen muss, was die Netze weiter belastet.

Kurth sieht auch in den nächsten Jahren Probleme bei der Energieversorgung: Die acht stillgelegten AKW konnten 8400 Megawatt Strom erzeugen. Diese Lücke kann mit den geplanten Kraftwerksneubauten bis 2014 geschlossen werden. Doch die Neuanlagen stehen oberhalb des Mains und nicht im Süden, wo Strom gebraucht wird. Daher ermahnte Kurth alle Atomgegner, entschieden für den Netzausbau und neue Kraftwerke einzustehen.