Essen/Washington. Peking macht als größter US-Gläubiger Druck auf die Amerikaner. Finanzexperten sehen darin eine Demonstration der Macht. Gleichwohl hofft China, dass Präsident Barack Obama sich durchsetzt, um nicht einen Teil seines Geldes zu verlieren.
Die Schuldenkrise könnte ernster kaum sein, doch sie treibt mitunter Blüten von greller Ironie. Zu den schillerndsten gehört, dass sich die letzte intakte Bastion des Kommunismus um das Mutterland des Kapitalismus sorgen muss.
China hat größte Angst vor einer Staatspleite der USA. Denn China ist Amerikas größer Geldgeber: 1,16 Billionen US-Dollar hat das Reich der Mitte ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten investiert. Ganz einfach, weil Peking meinte, das Geld aus seinen gigantischen Exportüberschüssen sei im Zentrum der Weltfinanzen am besten angelegt. Nun warnt Peking, künftig Anleihen anderer Länder zu kaufen. „Wir hoffen, dass die US-Regierung verantwortungsvolle Beschlüsse und Maßnahmen verabschiedet, die die Interessen der Investoren garantieren“, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Hing Lei.
Doch die Amerikaner müssen sich nicht nur Ratschläge von der kommunistischen Partei gefallen lassen, sondern auch Drohungen der chinesischen Ratingagentur Dagong. Die hält sich wie die gesamte chinesische Wirtschaft streng an die Regeln des freien Marktes. Nach eigenem Verständnis strenger als die drei US-Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch. Während Dagong die USA bereits im Frühjahr herabstufte und nun mit einer erneuten Abwertung droht, geben die US-Agenturen noch immer die Bestnote. „Ihre Hauptaufgabe ist allen bekannt. Sie sollen die Interessen der USA wahren“, stichelte unlängst Dagong-Chef Guan Jianzhong.
Einigung in letzter Minute?
Der Wormser Finanzexperte Max Otte sieht die Drohung von Dagong stellvertretend für die Lage des neuen China. „Die aufstrebende Wirtschaftsmacht will der niedergehenden ihre Machtinstrumente streitig machen.“
Gleichwohl hofft Peking, dass Präsident Barack Obama sich durchsetzt, um nicht einen Teil seines Geldes zu verlieren. Obama versucht seit Wochen, die Republikaner für eine Heraufsetzung der Schuldengrenze zu bewegen. Die liegt bei 14,3 Billionen Dollar und ist Ende des Monats erreicht. Im August könnte dann die US-Regierung fast die Hälfte (44 Prozent) ihrer Rechnungen nicht mehr begleichen.
Der Deutsch-Amerikaner Otte glaubt zwar, dass sich Demokraten und Republikaner wie so oft in letzter Minute einigen werden. „Doch auszuschließen ist ein Scheitern nicht, weil bei den Republikanern rechte, ideologisch geprägte Charaktere sitzen.“
Drohung vor mehrfacher Abstufung
Der Ernstfall wäre für viele höchst unangenehm. Notenbank-Chef Ben Bernanke warnte die Unterhändler vor „riesigem finanziellen Unheil“, falls sie nicht zu einer Einigung gelangten. Die Ratingagentur Moody’s kündigte an: „Ein tatsächlicher Zahlungsausfall, egal von welcher Dauer, würde Moody’s Beurteilung über die Pünktlichkeit künftiger Zahlungen fundamental verändern.“ Das klingt nach einer mehrfachen Abstufung.
Die hielte Otte, der 2006 im Buch „Der Crash kommt“ eine Weltfinanzkrise prognostizierte, für überfällig: „Die US-Wirtschaft steht schon länger am Abgrund, das Triple A ist keinesfalls gerechtfertigt. Der Häusermarkt liegt im Koma, die Industrie ist platt und jedes vierte Kind ist auf Lebensmittelmarken angewiesen.“
Die USA käme eine Abwertung ihrer Kreditwürdigkeit teuer zu stehen. Der Bonds-Riese Pimco geht davon aus, dass die Zinsen um mindestens einen Prozentpunkt steigen würden. Washington müsste dann für neue Kredite über die kommenden fünf Jahre 1,2 Billionen Dollar zusätzlich aufbringen. Gleichzeitig stiegen die Kosten für Hypotheken-Kredite, was dem Immobilienmarkt einen neuen Schlag versetzen würde.
134 Milliarden fehlen
Das US-Finanzministerium hat ausgerechnet, dass allein im August offene Rechnungen die Steuereinnahmen um 134 Milliarden Dollar übersteigen. „Irgendjemand wird von diesem Tag an nicht bezahlt“, erklärt Ted Truman vom Peterson Institut für Weltwirtschaft. US-Präsident Obama muss dann entscheiden, wer leer ausgeht: Rentner, Soldaten, Regierungsbeschäftigte, Arbeitslose oder die Gläubiger der USA.