Essen.. Jürgen Großmanns Festhalten an der Kernkraft stößt auch bei privaten Anlegern auf Skepsis. Der RWE-Chef gibt sich auf der Hauptversammlung des Energiekonzerns standhaft.

Der Eklat kam mit An­sage: Die gestrige RWE-Hauptversammlung in der Essener Grugahalle wurde von Tumulten begleitet und geriet zur Debatte um die Atomenergie. Während sich die RWE-Anteilseigner den Weg zur Hauptversammlung in der Essener Grugahalle durch rund 200 Demonstranten bahnen mussten, sah sich Konzernchef Jürgen Großmann am Rednerpult mit einer Gruppe Atomkraftgegnern konfrontiert, die durch die Reihen der Sicherheitsleute geschlüpft waren. Vor der Bühne hielten sie Transparente in die Höhe, riefen „abschalten“, „abschalten“.

Die auf dem Podium versammelte deutsche Manager-Elite mit den Aufsichtsräten Dieter Zetsche (Daimler) und Ekkehard Schulz (Thyssen-Krupp) ließ sich ihr Unwohlsein nicht anmerken, gewohnt ist sie freilich eine Atmosphäre, die sich dem beruhigenden Blauton eines jeden Hauptversammlungs-Saals anpasst.

Inhaltlich war Großmann darauf vorbereitet, dass die Atomdebatte den Tag bestimmen würde. Seit Fukushima und der Verkündung des Mo­ratoriums werde RWE in der öffentlichen Wahrnehmung auf den Betrieb der Kernkraftwerke reduziert, sagte er, doch RWE sei ein „tief gestaffeltes“ Energieunternehmen, „kein Atomkonzern“. Aber: „Wir be­treiben Kernkraftwerke. Dazu stehen wir.“

Schlitterkurs zwischen Kernschmelze und Klimakatastrophe

Ebenso zur Klage gegen das Atom-Moratorium der Bundesregierung: „Die Regierung hat nach dem Motto gehandelt: Erst abschalten, dann prüfen“, sagte Großmann. Er habe den Eindruck, dass sich die Politik darauf konzen­triert, Schadenersatzforderungen der Versorger zu vermeiden statt volkswirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Allerdings signalisierte Großmann Gesprächsbereitschaft.

Doch die Kritik am Festhalten an der Kernkraft wird lauter. Der Vorwurf einer Kleinaktionärin, Großmann führe RWE auf einem Schlitterkurs zwischen Kernschmelze und Klimakatastrophe und er solle seinen Slogan „voRWEg gehen“ in seinem Falle als „zurücktreten“ interpretieren, mag noch als übliche Skurrilität eines Aktionärstreffens durchgehen. Aber der Vertrauensverlust hat auch Privatanleger erfasst. Marc Tüngler, Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), warf Großmann vor, noch keine neue Strategie entwickelt zu haben und fragte: „Quo vadis RWE? Quo vadis Herr Großmann? Was bleibt übrig von RWE, wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet sind?“

RWE soll Klage nochmal überdenken

Andere Großanleger sorgten sich sogar, ob der Klageweg wirklich der richtige sei. Christoph Hirt, Sprecher der einflussreichen Vereinigung der Institutionellen Privatanleger, befürchtet, dass RWE mit der Klage an Reputation verliere. Der Konfrontationskurs laufe womöglich dem eigentlichen Sinn der Klage – Schaden vom Unternehmen abzuwenden – zuwider. Deshalb solle RWE die Klage noch einmal überdenken.

Auf Konfrontationskurs gingen schon vor der Hauptversammlung die kommunalen Großaktionäre. Teils mit Ratsbeschlüssen im Rücken, fordern sie eine neue Konzernstrategie, weg von der Kernkraft. Da dürfte die Beteiligung an einem Kernkraftwerk in Polen kaum hineinpassen. Laut der Wirtschaftswoche will der polnische Ministerpräsident Donald Tusk RWE für den Betrieb eines Meilers bei Danzig gewinnen. Ein RWE-Sprecher betonte, es gebe keinerlei Überlegungen, sich dort zu engagieren.

Überrascht über den Widerstand der Städte

Großmann, so ist zu vernehmen, soll überrascht vom Wi­derstand der Städte gewesen sein. An dieser Front weiß er aber die privaten Großaktionäre hinter sich. Sie fordern weniger städtische Aufsichtsräte. „Diese Vertreter tragen kommunale Politik in den Aufsichtsrat. Das gehört sich nicht und muss abgestellt werden“, sagte Marc Tüngler. Er sieht einen Interessenkonflikt. Beispiel Dortmund: Als neuer Mitbesitzer der Steag ist die Stadt plötzlich Konkurrent von RWE, sitzt aber gleichzeitig in dessen Aufsichtsrat.